Ausgangsbeschränkungen, Schul- und Geschäftsschließungen – diese und viele weitere Abwehrmaßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus werden als Praktiken des „Social Distancing“ angesehen. Dabei involviert „Social Distancing“ zunächst Maßnahmen, die vorübergehend die physische Distanz zu unseren Mitmenschen vergrößern sollen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Anders wie der Begriff implizieren könnte, geht es aber keineswegs darum, die soziale Dimension des menschlichen Miteinanders bewusst zu reduzieren.
So betonen mitunter amerikanische Sozialwissenschaftler, dass „Social Distancing“ durchaus irreführend klingen könnte und plädieren dafür, den Begriff gänzlich durch „Physical Distancing“ zu ersetzen. Durch die soziale Komponente in „Social Distancing“ könnte der Eindruck entstehen, dass Empfehlungen zu sozialer Ausgrenzung oder zügellosen Individualismus ausgesprochen werden. Das Gegenteil sei jedoch der Fall: Soziale Konnektivität und Verantwortung würden gerade in Coronazeiten verstärkt an Bedeutung gewinnen. Sobald man sich in sein Eigenheim zurückziehen würde, so die Wissenschaftler, könnten die wesentlichen sozialen Verbindungen schnell aus den Augen verloren und die Notlage derer vergessen werden, die am anfälligsten für das Ausfransen sozialer Bindungen sind. Dabei berge soziale Isolation insbesondere für ältere Menschen ein hohes Risiko. Doch auch mithilfe digitaler Technologien können menschliche Beziehungen durchaus gestärkt und die gegenseitige Unterstützung durch Telefongespräche, soziale Medien oder Video-Chats aufrechterhalten werden. Das menschliche Nähe trotz physischer Nähe möglich ist, zeigten im Moment zudem viele einfallsreiche Initiativen, in denen Partizipationsmuster neu gedacht werden: von gemeinschaftlichen Balkongesängen, über das Streaming kultureller Events bis hin zu virtuellen Happy Hour Partys. Von wissenschaftlicher Seite wird diesbezüglich noch folgende Empfehlung ausgesprochen: „Wir müssen uns derzeit physisch weiterhin distanzieren - unsere Gesundheit hängt davon ab. Aber wir sollten unsere Anstrengungen verdoppeln, um uns sozial nahe zu sein. Davon hängt auch unsere Gesundheit ab.“
Doch wie steht es perspektivisch um das Thema „Distanzierung“, vor allem nach einer Lockerung des Corona Lockdowns? Hierzu erwähnt der Virologe Alexander Kekulé in einem Gastbeitrag von Zeit Online erstmals den Begriff „Smart Distancing“. Damit ist gemeint, dass auch nach dem Lockdown mit zielgerichteten Maßnahmen Situationen vermieden werden sollten, die eine Virusvermehrung begünstigen könnten. Hier nennt Kekulé derzeit bereits bekannte, aber weniger einschneidende Maßnahmen, wie etwa der Verzicht auf das Händeschütteln oder das Einhalten von zwei Metern Mindestabstand. Risikopersonen, insbesondere Menschen über 65 Jahre, sollten zudem in besonderer Weise, wie etwa durch bundesweite Regelungen in Altersheimen, geschützt werden.
Wie es künftig genau mit dem Thema „Distanzierung“ weitergehen könnte, ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch nicht absehbar.
31.03.20