Bei der Gestensteuerung von Applikationen außerhalb der Unterhaltungsbranche stellen sich verschiedene Herausforderungen, von denen insbesondere zwei im folgenden beleuchtet werden: Das Erreichen einer angemessenen Genauigkeit der eingesetzten Sensoren und der benötigte Mindestabstand zwischen Sensor und Benutzer. Beiden Herausforderungen versucht das Start-Up Leap Motion mit seinem gleichnamigen Gestencontroller erfolgreich zu begegnen.
Der Leap Motion Controller wird in einer kleinen, unscheinbaren Box geliefert – wie der Controller selbst erinnert auch dessen Verpackung mitunter an das von Apple bekannte Design. Der Controller kann sowohl unter Mac OS als auch unter Windows eingesetzt werden. Voraussetzung ist der Download und die Installation einer speziellen Software, die neben notwendigen Treibern auch Leap Motion‘s «Airspace Software» umfasst. Über Airspace können sowohl freie als auch kostenpflichtige Applikationen aus dem Airspace Store heruntergeladen und gestartet werden.
Der Leap Motion Controller wird im Gegensatz zu Kinect & Co. direkt vor seinem Benutzer auf dem Tisch platziert. Der Interaktionsbereich des Sensors identifiziert Gesten in einem Winkel von 150° in der Breite und 120° in der Tiefe, die Interaktion des Benutzers mit dem Computer findet hierbei bezeichnenderweise im «Airspace» über dem Gerät statt. Bereits beim Durcharbeiten des mitgelieferten Einführungstutorials zeigt sich schnell, dass die Erkennung von Händen und deren einzelner Finger durch Leap Motion sehr präzise und zügig gelingt. Lediglich durch die Überlappung von Fingern ist die Identifikation eingeschränkt.
Ironischerweise lässt sich jedoch die eigens für den Controller entworfene Software Airspace samt des Airspace Stores zunächst nicht über Leap Motion steuern – hierzu muss erst einmal auf Maus und Tastatur zurückgegriffen werden. Abhilfe findet sich schnell im Airspace Store: die App «Touchless for Mac» gestattet (ebenso wie eine entsprechende Variante für Windows) die umfassende Steuerung des Betriebssystems – und somit auch die Interaktion mit nicht dezidiert für Leap Motion entwickelten Anwendungen. In der Praxis macht sich hierbei jedoch schnell Ernüchterung breit. Der Leap Motion-Sensor reagiert hochempfindlich auf Bewegungen, die Interaktion mit dem Computer bekommt mitunter den Charakter eines Geschicklichkeitsspiels. Sowohl unter Mac OS also auch unter Windows sind Elemente auf dem Desktop häufig einfach zu klein, die Ausführung ungewollter Aktionen daher ein häufiges Problem: König Midas lässt grüßen …. Die auf Touch-Interaktion ausgelegte Steuerung der Metro-Oberfläche unter Windows 8 lässt sich hingegen halbwegs vernünftig steuern.
Der Airspace Store enthält derzeit 104 weitere Anwendungen, wobei deren Qualität von App zu App sehr stark schwankt – manche Apps sind schlichtweg kaum bedienbar (womit auch «Touchless for Mac» angesprochen ist). Productivity-Apps finden sich im Store nur vereinzelt – die meisten Applikationen dienen der Unterhaltung oder demonstrieren, was mit dem Leap Motion Controller aktuell möglich ist.
Da eine Standardisierung für elementare «Airspace»-Gesten fehlt, wartet jeder Entwickler mit individuellen Lösungen auf. Die zwangsläufig resultierenden Inkonsistenzen zwischen verschiedenen Apps sorgen für durchaus chaotisch anmutende Benutzererfahrungen: Beispielsweise wird das Anklicken von interaktiven Schaltflächen in manchen Anwendungen dadurch ausgelöst, dass ein Benutzer mit seinem Finger eine kurze Zeit über der gewünschten Schaltfläche bleibt. In anderen Anwendungen wiederum wird diese Interaktion durch eine explizite „Drücken”-Geste in die Tiefe des Raums umgesetzt. Um etwa bei der «New York Times»-App Scrollen oder Wischen zu können, müssen gar Kreise in der Luft gezogen werden. Welche Gründe für den Einsatz dieser Geste sprechen, erschliesst sich nicht zwingend.
Das Fehlen übergreifender Interaktionskonzepte wird in Bezug auf das Erlernen einer Applikation dadurch verschärft, dass viele Apps keinerlei Hilfestellung zu ihrer Bedienung bereitstellen und damit offensichtlich ganz auf eine „intuitive und natürliche“ Bedienbarkeit vertrauen. Neuen Benutzern bleibt so oftmals nur die mühsame Erkundung des Interaktionsraumes zur Entdeckung relevanter Gesten – angesichts der fehlenden Standardisierung kein erfolgsversprechender Ausgangspunkt für eine positive User Experience: Viele Apps fühlen sich hierdurch bei der ersten Benutzung schlichtweg unbedienbar an.
Den Leap Motion Controller aufgrund der aufgezeigten Schwierigkeiten als gescheitertes Produkt zu bezeichnen würde über das Ziel hinaus schießen. Der Controller als Hardware-Device funktioniert gut und arbeitet äußerst präzise. Durch die im Regelfall sitzende Position der Benutzerin vor einem Tisch kann ihr Ellbogen auf der Tischplatte abgestützt werden, was eine «Tennisarm-Problematik» im Vergleich zu Kinect & Co. zumindest etwas entschärft. Das eigentliche Problem ist weniger die Hardware, vielmehr ist das Potential der Software noch nicht ausgeschöpft. Gut illustriert wird dies im Vergleich der beiden Leap Motion Versionen von Google Earth und Nokia Here. Während Google Earth auf kleinste Bewegungen des Users deutlich zu empfindlich reagiert und die filigrane Interaktion somit sehr viel Übung erfordert, kompensiert Nokia Here die (in diesem Fall: zu) hohe Genauigkeit des Sensors und lässt eine weitaus entspanntere Interaktion zu.
Der zukünftige Erfolg von Leap Motion hängt also vor allem von der verfügbaren Software und der Frage ab, ob die vorgestellte Variante der Gestensteuerung entscheidende Vorteile gegenüber alternativen Interaktionsansätzen bietet. Eine viel beschworene «Killer-App» die ohne Leap Motion kaum denkbar wäre, konnten wir im Airspace Store jedoch bislang nicht entdecken. Zur Navigation in 3D-Anwendungen – etwa als Alternative zur Spacemouse – bietet Leap Motion sicherlich interessante Möglichkeiten (vgl. unser Demo-Video). Ebenso könnte Leap Motion bei der Bedienung solcher medizintechnischer Geräte Einsatz finden, bei denen strenge Hygienevorschriften eine «touchless» Interaktion nahe legen. Wie formulierte Bill Buxton so treffend: „Everything is best for something and worst for something else“ – Leap Motion bildet hier sicher keine Ausnahme.
11.10.13