Andreas Lehmann ist Präsident des German UPA und Inhaber des IT-Unternehmens “lemisoft”. Er arbeitet seit über 15 Jahren als Usability- und User-Experience-Berater für namenhafte Firmen und Branchenführer der Industrie, Medizintechnik und den “Public Sector”. Was wir von ihm wissen wollten:
Herr Lehmann, Digitalisierung ist in aller Munde und wird auch für die mittelständischen Unternehmen ein immer zentraleres Thema. Warum sollten Unternehmen auf Usability und User Experience setzen?
Der Mittelstand ist eine Besonderheit und große Stärke der deutschen Wirtschaft. Diese Mittelstands-Unternehmen sind organisch und kontinuierlich gewachsen, getrieben durch ein hochklassiges Ingenieur-Knowhow. Viele innovative Produkte werden dort konzipiert, entwickelt und erfolgreich auf den Markt gebracht. Nur sind viele der Produkte von Ingenieuren für Ingenieure konzipiert – das Verständnis für den Anwender bleibt dabei auf der Strecke. Hier können Experten für Usability und User Experience die Produkte „gebrauchstauglich“ machen.
Kann man den Mehrwert einer guten UUX konkret messen?
Das ist nicht einfach, aber es geht und ist abhängig vom Produkt und Anwendungsfall. Wenn Unternehmen den User Centered Design Prozess integriert haben, ergeben sich Aussagen über Fortschritte in der UUX in der Phase Verifikation fast von alleine. Eine entsprechend große Stichprobe vorausgesetzt. Aber auch qualitative Interviews und quantitative Umfragen zu einem Produkt können hier belastbare Aussagen geben.
Aus Ihrer Berufserfahrung heraus: Was sind die häufigsten Probleme im Unternehmen, zu denen UUX einen positiven Beitrag leisten kann?
Häufig werden Produkte von Anwendern nicht verstanden, da ihr mentales Model nicht der Sichtweise der Produktentwicklung entspricht. Hier kann UUX mit einer Änderung im „mindset“ der Entwicklung die Qualität der Interaktion mit den Produkten deutlich vorantreiben. Dazu gehört vor allem die Bereitschaft umzudenken.
Haben Sie konkrete Beispiele, wie eine gute Usability einem Unternehmen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschafft hat?
Ich erinnere mich an einen Usability-Test der RWTH Aachen nach der Einführung des damals brandneuen iPhone. Als Resümee war dort zu lesen, dass zwar auch mit diesem neuen Smartphone nicht alle Probanden alle Aufgaben erfolgreich abschließen konnten. Aber auch wenn sie scheiterten, es hat ihnen Spaß gemacht. Ein wichtiger Faktor für den Erfolg dieses Produktes.
Was sind Ihrer Meinung nach, die größten Hindernisse in der Integration von Usability-Methoden und Praktiken in mittelständischen Unternehmen?
Wie Grace Hopper (US-amerikanische Informatik-Pionierin) so treffend sagte: “The most dangerous phrase in the language is, ‘We've always done it this way.’”. Wir brauchen – übrigens nicht nur im Mittelstand – die Bereitschaft unsere Produkte und unsere Entwicklungs-Prozesse zu hinterfragen. Dazu gehört es, die Bedürfnisse der Anwender deutlich früher zu analysieren und in die Konzeption unserer Produkte einfließen zu lassen.
Wie hat sich Ihrer Meinung nach in den letzten 10 Jahren das Bewusstsein für die Notwendigkeit Usability und User Experience im Unternehmenskontext zu verorten gewandelt?
Ich sehe hier eine große Schere zwischen Unternehmen, die ein Bewusstsein für UUX entwickelt haben, dieses leben und auf der UX-Reifegrad-Skale einen großen Sprung nach oben gemacht haben, und Unternehmen, die UUX als „nice to have“ ansehen und weitgehend weitermachen wie bisher.
Was sind Ihre Handlungsempfehlungen für den Mittelstand?
Wettbewerbsfähig kann ein Unternehmen auf Dauer nur dann bleiben, wenn es die Bedürfnisse der Nutzer ernst nimmt und bei der Entwicklung von Produkten berücksichtigt. Es ist ein kontinuierlicher Prozess diese Aktivitäten in den Entwicklungsprozess einfließen zu lassen – die Investition wird sich am Ende auf jeden Fall auszahlen.
Vielen Dank, Herr Lehmann, für diese informative Interview!
10.11.20