Martin Beschnitt ist seit Anfang 2007 bei der eresult GmbH tätig. Seit 2017 verantwortet er in seiner Rolle als geschäftsführender Gesellschafter die Geschäftsfelder Projektmanagement & Organisationsentwicklung, Controlling, Marketing sowie Forschung & Entwicklung. Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit bei eresult ist er Gastdozent an diversen Hochschulen und sitzt im Vorstand des Arbeitskreises Usability & User Experience (UUX) beim Digitalverband BITKOM.
Herr Beschnitt, Sie sind seit 2007 bei der Full-Service-Agentur eresult GmbH tätig und verfügen über eine langjährige Berufserfahrung: wie hat sich die Wahrnehmung von UX-Themen bei mittelständischen Unternehmen in den letzten Jahren gewandelt?
UX scheint ein wenig mehr „in Mode“ gekommen zu sein. Allerdings wird UX Design immer noch bzw. weiterhin falsch verstanden („UX is not UI“). Es geht nicht nur um das Visuelle (UI Design), sondern um den gesamtheitlichen, nutzerzentrierten Prozess zur Gestaltung eines Produktes – und der beginnt nun einmal mit der Anforderungsanalyse bevor man bereits in (visuellen) Lösungen denkt. Innerhalb des Bitkom Arbeitskreises Usability und User Experience fragen wir seit 2017 regelmäßig die Wichtigkeit von UUX in deutschen Unternehmen ab: die Zahlen bleiben leider konstant – ¾ der Befragten erachten Nutzerzentrierung für wichtig; aber nur 25% davon, haben einen Plan (=Prozess), der dies auch sicherstellt.
Aus diesem Grund ist es wichtiger denn je aufzuklären bzw. breit in der deutschen (Digital)Wirtschaft aktiv zu missionieren. Denn nun sollte im Zuge der anstehenden Digitalisierungswelle endlich auch die Nutzerzentrierung als einer der zentralen Erfolgsfaktoren für selbige Einzug in die Kultur, Menschen und Prozesse eines Unternehmens finden und dort nachhaltig verankert werden.
Ihre Leidenschaft gilt der Missionierung für die Themen Usability und UX – worauf kommt es hier an? Wie kann man eine größere Awareness erreichen bei den Unternehmen?
»The only source of knowledge is experience«. (Albert Einstein)
Der Usability-Test ist und bleibt der Eisbrecher, um die Dinglichkeit für Usability-Optimierungen und Nutzerzentrierung im Allgemeinen aufzuzeigen.
Natürlich kostet Nutzerinterviews Zeit und Geld – und es braucht auch Knowhow bei der Realisierung; dies kann aber zu Beginn auch extern eingekauft werden und öffnet in der Regel Augen und Ohren im Management sowie vor allem Budgettöpfe für weitere Maßnahmen.
Da KMU in der Regel geringere Budgets als DAX-Unternehmen für Nutzerzentrierung haben, gilt es diese als UX Professional noch effektiver, effizienter und zufriedenstellender einzusetzen – in Form von wenigen Leuchtturmprojekten, die dazu dienen intern auf ‚Roadshow‘ zu gehen, um mehr Fürsprecher zu gewinnen. Denn mit der Unterstützung durch das Management lässt sich Nutzerzentrierung bekanntlichermaßen viel einfacher etablieren als wenn man als Einzelkämpfer von unten nach oben das Thema treiben möchte. ABER: es erfordert immer eine Veränderung im Unternehmen (Kultur, Menschen, Prozesse) – sprich Change Management.
Neben Ihrer hauptberuflichen Tätigkeit bei eresult sind Sie noch als Gastdozent and diversen Hochschulen tätig: welchen Beitrag kann die Forschung für ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutung von UX-Themen leisten?
In Sachen Forschung ist schon viel getan; die Lehre bzw. die Aus- und Weiterbildung von UX Professionals finde ich gerade viel wichtiger/spannender. Es gibt endlich zahlreiche und vor allem gute Studiengänge als auch berufsbegleitende Programme, die dazu führen, dass sich das Mindset in Sachen UX von allein wandelt (siehe z.B. die Website der German UPA, https://germanupa.de/wissen/usability-user-experience/aus-weiterbildung) - Spätestens, wenn die Generation X Führungspositionen in der deutschen (Digital)Wirtschaft erklimmt. Manchmal braucht es in unserer Profession nicht nur gute Ideen und Strategien, sondern halt auch ein wenig Geduld.
Haben Sie konkrete Beispiele, wie eine gute Usability einem Unternehmen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschafft hat?
Aufgrund zahlreicher NDAs sind uns leider die Hände gebunden. Die Cases, über die wir reden dürfen, sind auf www.eresult.de veröffentlicht. Literatur zum Thema ROI (Return on investment) von UX gibt es wenig – zugleich ist diese stark veraltet (z.B. Bias & Mayhew, 1994). In unserem Beratungsgeschäft bestätigt sich jedoch immer wieder die Daumenregel von IBM „[...] for every one dollar invested in user experience research you save $10 in development and $100 in post-release maintenance.“ Zuguterletzt noch ein Beispiel, das wir alle kennen: iPhone und Blackberry – niemand wollte glauben, dass ein Handy ohne Tastatur das Rennen macht. ...
Herr Beschnitt, noch eine letzte Frage: Usability und UX – ist das auch ein Thema, das die breite Öffentlichkeit – die Bürger und Bürgerinnen interessieren sollte? Und wenn ja, inwiefern?
Letztendlich betrifft es uns alle - es geht um ja Mensch-Maschine-Aktionen bzw. Mensch-Zentrierung von Interfaces. Ganz gleich, in welcher Rolle und in welchem Kontext wir nun mit einem Produkt interagieren, möchten wir, dass es uns effektiv, effizient und zufriedenstellend bei der Erledigung unserer Aufgabe unterstützt und bestenfalls haben wir auch noch ein ganzheitliches, positives Nutzererlebnis vor/während/nach der Nutzung. Solche Produkte erfreuen uns, sparen Zeit/Nerven und wohlmöglich auch noch Geld – sie bieten einen (wohlmöglich gesellschaftlichen) Mehrwert/Nutzen. Dies sollten und können die Bürger*innen durchaus einfordern. Corona hat uns allen das Defizit in puncto Digitalisierung als auch Nutzer-Zentrierung vor Augen gehalten. Die Bilschirmarbeitsverordnung scheint nicht zu reichen 😉 Im Onlinezugangsgesetz ist noch nicht einmal die Rede vom Nutzer – gar von Usability, UX oder Nutzerzentrierung. Wir werden mit der Einführung der elektronische Patientenakte (ePA) Anfang kommenden Jahres erneut ein Paradebeispiel für mangelnde Nutzerzentrierung erfahren. Hoffentlich wird dies endlich das Fass zum Überlaufen bringen ...
19.11.20