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Weiter geht es mit unserer Serie "UUX im Mittelstand", mit der wir Euch spannende Einblicke in die UUX-Szene bieten & die Frage beleuchten, welche Herausforderungen es hinsichtlich der Integration von UUX-Praktiken in die Geschäftsprozesse von kleinen und mittelständischen Unternehmen gibt. Heute präsentieren wir Euch die spannenden Antworten von Michaela Kauer-Franz!

Michaela Kauer-Franz studierte an der Technischen Universität Darmstadt Psychologie und promovierte anschließend im Fachbereich Maschinenbau der TU Darmstadt zu „Akzeptanz technischer Produkte“. Im Anschluss an ihre Promotion übernahm sie die Leitung der Forschungsgruppe „Produktgestaltung“, bevor sie 2013 die Data Driven UX Design Agentur Custom Interactions mit ihrem Mann gründete. Michaela Kauer-Franz leitet die Business Unit Custom Medical und ist als Vortragende und Lehrende im Bereich Usability und User Experience Design und Testing für verschiedene Vereine und Hochschulen tätig. Sie ist außerdem Mitglied des nationalen DIN-Gremiums für die Themen Ergonomie, Usability und User Experience.

Frau Dr. Kauer-Franz, Sie haben 2012 gemeinsam mit Ihrem Mann das Unternehmen Custom Interactions gegründet. Was war die Motivation dahinter das Unternehmen zu gründen und was ist der Schwerpunkt Ihrer Tätigkeiten?

Ursprünglich stand für mich gar nicht die Gründung eines Unternehmens im Fokus, sondern ich habe Usability und User Experience mit Begeisterung in Studium und Promotion verfolgt. Ich habe mich immer damit beschäftigt, wie man Produkte gestalten kann, die von den Nutzern wirklich geliebt werden und Zeit sparen.

Für meinen Mann und mich war immer klar, dass der Mensch im Zentrum der Entwicklung stehen muss. Seine Bedürfnisse, seine Aufgaben, seine Ziele. Nicht die Technik. Wir sind der festen Überzeugung, dass die Zeit jedes Menschen kostbar ist und Technik dem Menschen dienen sollte. Der Nutzer sollte sich nur auf das „Was“ konzentrieren und nicht auf das „Wie“. Als dann jemand bei uns angerufen hat, und gesagt hat: „Das, was ihr da in der Forschung macht ist sooooo cool. Habt ihr nicht auch eine Firma, die das tut?“ haben wir mit „Wann brauchst du sie denn?“ geantwortet. Und das war der Beginn von Custom Interactions.

Inzwischen sind wir stark auf den Bereich der komplexen Produkte fokussiert. Immer wenn es wichtig, gefährlich oder komplex wird, sind wir am besten. Ihr braucht ein System für Notladungen? Kein Problem! Ihr wollt die Fußball-WM mit tausenden Kameras übertragen: Wir sind dabei! Eine Herz-Lungen-Maschine muss neugestaltet werden? Wann geht es los? Custom Medical ist dabei!

Können Sie uns aus Ihrem Alltag als Geschäftsführein der Custom Interactions GmbH berichten, mit welchen Herausforderungen besonders mittelständische Unternehmen in Bezug auf UUX-Themen am häufigsten zu kämpfen haben?

KMU haben aus meiner Sicht mehrere Hürden, die sie aktuell im Bereich UX ausbremsen. Die eine Hürde ist das Bewusstsein für UUX. In KMU in Deutschland – gerade in den klassischen Branchen – sind oft noch Entscheider unterwegs, für die die Technik das Alleinstellungsmerkmal ist. Das ändert sich oft erst dann, wenn der Markt schlechte Rückmeldung gibt und die Verkäufe zurück gehen. Dann sind die Firmen aber im Panikmodus und versuchen schnell zu reagieren und oft wird dann auch an allen Ecken und Enden gespart.

Dann ist natürlich immer eine Frage, ob das Unternehmen schon genug Produkte hat, um einen UXler auszulasten. Oft gibt es nur ein Kernprodukt, so das seine ganze Stelle zu viel ist. Das führt dann dazu, dass kein Profi geholt wird, sondern UX von jemandem “mitgemacht” wird. Aber immer wenn der Fokus fehlt, werden die Ergebnisse eben schlechter.

Oft wird UX auch zu spät mitgedacht und erst am Ende gestartet, wenn der Aufwand für Änderungen so groß ist, dass viele Änderungen gar nicht mehr gemacht werden. Dann ist der Frust natürlich riesig.

Ihr Steckenpferd ist das Themengebiet der Medical Devices – haben Sie ein konkretes Beispiel, wie die Einbindung von UX-Praktiken hier zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil für Unternehmen geführt hat?

Da gibt es tatsächlich viele. Usability ist im Medizinbereich ja verpflichtend, einfach um die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten. Das heißt aber nicht, dass alle Unternehmen UX machen, sondern viele machen nur das Nötigste. Die Unternehmen, die entscheiden wirklich auf gute UX zu setzen, haben dadurch oftmals entscheidende Wettbewerbsvorteile. Das beginnt bei deutlich reduzierten Trainings- und Anlernzeiten für die Geräte – teilweise bis zu 50% - was das Produkt dann für die Krankenhäuser interessanter macht. Das gilt aber auch für kürzere Bedienzeiten, was entweder mehr Zeit pro Patient oder mehr Patienten in der gleichen Zeit bedeutet. Außerdem können durch gutes Usability Engineering die Entwicklungskosten reduziert werden oder Marktentscheidungen sinnvoller getroffen werden. Wir haben schon alle Fälle gesehen: Kunden, die nach dem User Research neue erfolgreiche Produkte rausbringen, an die sie vorher nicht dachten. Kunden, die Produkte nicht rausbringen, weil das Marktfeedback vorab katastrophal war. Kunden, die ihren Markt ausbauen und so erfolgreich sind, dass sie innerhalb kurzer Zeit aufgekauft werden.

Wie hat sich Ihrer Meinung nach in den letzten 10 Jahren das Bewusstsein für die Notwendigkeit Usability und User Experience im Unternehmenskontext zu verorten gewandelt?

Im Medical-Bereich ist das Bewusstsein stark gestiegen. Hier wird immer klarer, warum gute Usability und tolle UX einfach notwendig sind. Immer mehr Firmen holen sich also UUX-Experten ins Haus. Entweder dauerhaft oder mindestens zeitweise.

Bei gewöhnlicher Software ist es aus meiner Sicht zwiegespalten. Ich glaube inzwischen gibt es kein einziges Softwareunternehmen mehr, das nicht davon spricht, dass seine Produkte einfach und intuitiv zu nutzen sind. Oft wird aber – gerade von kleineren Unternehmen – UUX noch immer als Design gesehen. Es ist am Ende also hübsch. Dass das Geheimnis wirklich erfolgreicher Produkte in erstklassigem User Research liegt, haben viele Kleine noch nicht verstanden. Hier wird sich aber in den nächsten Jahren noch viel tun. Es gibt jetzt einfach viel mehr Ausbildungen, Weiterbildungen und Informationen über nutzerzentrierte Methoden. Das wird!

Was sind Ihre Handlungsempfehlungen für den Mittelstand?

Eigentlich ist es ganz einfach: Definieren Sie Ihre Nutzergruppe. Beobachten Sie diese Personen in Ihrem echten Umfeld und reden Sie mit ihnen über ihre Erwartungen. Und vor allem: Hören Sie zu!
Wenn Sie das, was Sie hören, nutzen, um Ihr Produkt zu gestalten, dann kann eigentlich nichts schief gehen. Aber eine Bitte noch: Verwechseln Sie nicht die Expertise über Aufgaben und Bedürfnisse mit der Expertise für Gestaltung. Ihre Nutzer wissen, was das Ergebnis können muss und was sie erreichen wollen, sie wissen aber nicht wie man gut gestaltet. Das bleibt Ihre Aufgabe oder die von UUX-Experten.

Und zum Abschluss noch eine Frage: wie würden Sie vollenden: „Menschzentrierte Gestaltung bedeutet für mich….“?

...weniger Zeit mit Ärgern verbringen und mehr Zeit für die Dinge zu haben, die ich wirklich machen möchte!

Vielen Dank für das informative Interview!


23.11.20

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