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In diesem Gastbeitrag stellt das norwegische Startup No Isolation unter anderem seinen Telepräsenzroboter AV1 vor, der langzeiterkrankten Kindern die Möglichkeit gibt dennoch am Unterricht teilzunehmen. Wege raus aus der Einsamkeit mit sinnvoll eingesetzter Technologie, die sich an den Bedürfnissen der NutzerInnen orientiert.

Niemand, der die mit der Pandemie verbundenen Einschränkungen des vergangenen Jahres miterlebt hat, könnte leugnen, dass Einsamkeit ein schreckliches Gefühl ist und sich sehr negativ auf unser psychisches Wohlbefinden ausübt. Was allerdings weniger bekannt sein dürfte, ist, dass Einsamkeit auch unsere physische Gesundheit schädigen kann. Obwohl die emotionalen Auswirkungen von unfreiwilliger Isolation nicht weniger gravierend sind, haben gerade die körperlichen Auswirkungen dazu beigetragen, dass das Thema Einsamkeit heute mit größerer Ernsthaftigkeit behandelt wird. Wir von No Isolation sind der Meinung, dass “warm technology" eine wichtige Rolle dabei spielt, Menschen in jeder Lebenssituation die soziale Interaktion zu erleichtern, um das Problem der unfreiwilligen Einsamkeit nachhaltig anzugehen.

Der Begriff "warm technology" wurde von uns geprägt, um Produkte zu beschreiben, die speziell entwickelt wurden, um Menschen, die von sozialer Isolation und Einsamkeit bedroht sind, die Kommunikation mit ihrem sozialen Umfeld zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Anstatt lediglich bestehende Hard- oder Software wie Skype zu adaptieren, werden von uns Produkte basierend auf “warm technology” von Grund auf neu entwickelt, wobei die spezifischen Bedürfnisse von Nutzergruppen aus einer Nische die zentralen Bausteine unserer Entwicklungen sind. Das Ergebnis ist ein hochgradig zielgerichtetes Kommunikationswerkzeug, das ein "warmes" Gefühl der Verbindung und Zugehörigkeit erzeugt.

In Deutschland gibt es mindestens 75.000 junge Menschen, die aufgrund einer Langzeiterkrankung regelmäßig und oft für eine lange Zeit der Schule fernbleiben. Erkrankungen wie Epilepsie oder schwere Angstzustände, Nierenversagen oder Krebs machen es den Betroffenen sehr schwer, von zuhause aus oder dem Krankenhaus aus Teil der Schulgemeinschaft zu bleiben. Oft fühlen sich betroffene Kinder und Jugendliche eingeengt durch einen straffen Behandlungsplan oder leiden unter einem geschwächten Immunsystem verbunden mit extremer Müdigkeit. Doch soziale Beziehungen sind nicht nur entscheidend für unser Wohlbefinden, sondern nehmen auch stark Einfluss auf unsere Bildung. Studien haben ergeben, dass sozial isolierte Kinder und Jugendliche dazu neigen, später einen eher niedrigeren Bildungsabschluss zu erreichen, im Erwachsenenalter einer weniger begünstigten sozialen Schicht anzugehören und eher psychisch beeinträchtigt zu sein. Die Institution “Schule” war schon immer von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht das Fundament der Chancengleichheit innerhalb einer Gesellschaft zu stärken. Wenn Kinder und Jugendliche physisch nicht am Unterricht teilnehmen können, profitieren sie jedoch nicht davon.

Als wir kurz nach unserer Gründung im Jahr 2015 die Prinzipien des nutzerzentrierten Designs in den Mittelpunkt unseres Prozesses stellten, begannen wir damit, uns mit Kindern, die an einer Langzeiterkrankung leiden, zu unterhalten und versuchten, ihre täglichen Herausforderungen, Bedürfnisse und Wünsche zu verstehen. Diese Kinder hatten das quälende Gefühl, vergessen worden zu sein, und einen starken Wunsch, physisch an jenen Orten vertreten zu sein, an denen sie bedingt durch ihre Krankheit nicht sein konnten. Die Kinder und Jugendlichen, mit denen wir sprachen, erzählten uns von traumatisierenden Erfahrungen, wie beispielsweise, dass sie über Skype mit dem Unterricht in ihrer Klasse verbunden waren, jedoch nicht von ihren Klassenkameradinnen und Klassenkameraden gesehen werden wollten, da es sie verletzte wie diese oft auf den Anblick reagierten, sie im Schlafanzug oder mit einer Ernährungssonde zu sehen. Leider baten die Lehrerinnen und Lehrer der erkrankten Kinder diese trotz ihres Unwohlseins dennoch oft, die Kamera einzuschalten. Von diesem Moment an wussten wir, dass unser künftiges Produkt zwingendermaßen einen “Einweg-Videostream” haben musste, um den Bedürfnissen der langzeitkranken Kinder gerecht zu werden.

Dies ist jedoch nur ein Punkt, den wir berücksichtigten, um den Nutzerinnen und Nutzern unserer Produkte ein bestmögliches Telepräsenz-Erlebnis zu gewährleisten. Zu den weiteren Funktionen unseres Avatars zählen eine 360º-Bewegungssteuerung, LED-Augen zum Ausdruck von Emotionen und eine Option zum Melden während des Unterrichts. Mit einer Höhe von etwa 30 cm und einem Gewicht von 1,5 kg passt unser AV1-Telepräsenzroboter gut auf eine Schulbank und lässt sich leicht von Freundinnen und Freunden innerhalb der Schule oder auf den Schulhof mitnehmen. Die Erfahrungen unserer Nutzerinnen und Nutzer zeigen, dass eine ansprechbare physische Präsenz in der Schule in Form unseres Avatars zu einer merklichen Verbesserung des Wohlbefindens führt. Dies wiederum unterstützt den Genesungsprozess der Kinder und Jugendlichen, und erhöht zudem die Wahrscheinlichkeit, dass diese schneller in die Schule zurückzukehren. Heute wird der AV1 von mehr als 1.500 jungen Schülerinnen und Schülern in ganz Europa genutzt.

Nach der erfolgreichen Einführung von AV1 in ganz Europa wurden wir von der norwegischen Krebsgesellschaft angesprochen und gefragt, ob AV1 auch zur Unterstützung älterer Krebspatientinnen und -patienten eingesetzt werden könnte, die oft in ländlichen Gegenden, weit weg von ihren in der Stadt lebenden Verwandten leben. Die Seniorinnen und Senioren hatten oftmals Schwierigkeiten, die gängigen digitalen Kommunikationsplattformen zu bedienen, deren Gebrauch für so viele Menschen heutzutage selbstverständlich geworden ist. Für viele ältere Menschen war die Nutzung von beispielsweise Smartphones jedoch mit einer Reihe von Hürden verbunden. Dazu zählen die Notwendigkeit, sich Passwörter zu merken, die Menüführung mit jedem Software-Update neu erlernen zu müssen, kleine Bildschirme und - am erstaunlichsten - nicht reagierende Touchscreens, verursacht durch trockene Haut an den Fingerspitzen und einer verminderten Durchblutung.

Basierend auf diesen Erkenntnissen haben wir 2017 den KOMP entwickelt, nur drei Jahre bevor die Pandemie die Türen von Pflegeheimen auf der ganzen Welt schloss. Wir wollten jedem Menschen, ungeachtet technologischer Fähigkeiten, die Möglichkeit bieten, über ein sehr einfaches und dabei hoch funktionales Kommunikationsmittel mit seinem sozialen Umfeld kommunizieren zu können. Der KOMP ist mit nur einem Drehknopf, dafür einem breiten, hochauflösenden Bildschirm, lauten Audiofunktionen und integrierter 4G-Konnektivität ausgestattet und damit perfekt geeignet für die Bedürfnisse der oftmals älteren Nutzerinnen und Nutzer. Der KOMP ist das Gegenstück für per KOMP-App gesendete Sofortnachrichten und Videoanrufe von Angehörigen oder Freunden. Die Funktionalität von KOMP mag sehr schlicht erscheinen, aber genau darin liegt der Schlüssel: Es gibt kein Risiko im Rahmen der Nutzung Fehler zu begehen, was den Seniorinnen und Senioren ein beruhigendes Gefühl und bestmögliches Nutzererlebnis bietet.

Trotz der Tatsache, dass viele Nachbarschaften und andere soziale Gemeinschaften durch die Pandemie digital näher zusammengerückt sind, stellt die für die breite Masse konzipierte Technologie für viele Tausende von Menschen mit besonderen Bedürfnissen und Fähigkeiten enorme Hürden dar. Im Zuge dessen nimmt die soziale Isolation zu. Ob durch Pandemien, den Klimawandel oder die gestiegene Lebenserwartung verursacht, die Einsamkeit breitet sich unaufhörlich in unserer Gesellschaft aus, und es besteht ein dringender Bedarf, Lösungen zu finden, die unseren Gemeinschaften helfen, sich zu vernetzen und miteinander zu interagieren. Wenn wir über mögliche technologische Lösungen nachdenken, die Menschen vor unfreiwilliger Einsamkeit bewahren, sollten wir aufhören, uns Stellvertreter für menschliche Beziehungen vorzustellen, wie z. B. “Roboterfreunde”. Stattdessen sollten wir Trost in dem Wissen finden, dass Technologie, wenn sie mit den richtigen Werten und Prioritäten entwickelt wird, die Macht hat, die so wichtigen menschlichen Interaktionen zwar nicht zu ersetzen, dafür zu erleichtern und damit das Leben so vieler Menschen zu bereichern.


12.05.21

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