Am 11.11.21 fand der 17. World Usability Day (WUD) unter dem Motto „Design unserer Online-Welt: Ethik, Vertrauen und Integrität“ statt. Dieses Jahr wurden am WUD über 150 Events in 40 Ländern veranstaltet, davon sogar ca. 20 deutschsprachig. Seit 2018 ist das Kompetenzzentrum Usability in mehreren Städten, wie bspw. Stuttgart, Hamburg, Berlin, Leipzig oder Köln am WUD beteiligt und organisiert diese zum Teil auch mit. So auch wieder in diesem Jahr der Standort Stuttgart, für welchen das Kompetenzzentrum die Hauptorganisation übernahm. Insgesamt konnte der WUD Stuttgart 2021 mit 26 Referierenden, elf Vorträgen und sechs Workshops über 350 UUX-Interessierte erreichen und mit Ihnen in den Austausch treten.
Begrüßt wurden die Teilnehmenden durch Anika Spohrer, Kopf des Organisationsteams, und Prof. Dr. Michael Burmester, Leiter des Kompetenzzentrum Usability. Im Anschluss wurden die Beteiligten, Partner und Unterstützende des WUD Stuttgarts vorgestellt. Auch der Präsident der German UPA (Berufsverband der Usability- & UX-Professionals in Deutschland) sowie Andreas Lehmann und Hjalmar Hiermann von der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart begrüßten das Publikum im Namen der Partner und Unterstützenden und eröffneten somit das Event.
In zwei virtuellen Räumen fanden am Vormittag parallel Vorträge rund um das Thema Ethik statt. Dr. Peter Klein und Nicole Karatas von der User Interface Design (UID) GmbH stellten im ersten Vortrag ein Tool für digitale Ethik für Gestalter vor. Die Digitale Ethik gewinnt auch jenseits von Forschungsprojekten immer mehr Einfluss auf Entscheidungen. Während Usability- und User Experience (kurz: UUX) Professionals schon eine Routine in der menschzentrierten Entwicklung besitzen und die ökonomischen Folgen für das Produkt oder Dienstleistung im Auge haben, werden sie zukünftig stärker auch Aspekte der Nachhaltigkeit und Ethik berücksichtigen müssen. Mit dem vorgestellten Tool können Gestaltende Varianten von Lösungen erstellen und die ökonomischen Implikationen für die einzelnen Stakeholder aufzeigen.
Auch im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) spielt Ethik eine immer größere Rolle. Jan Groenefeld von der Ergosign GmbH stellte in seinem Vortrag die Ethik-Leitlinien für vertrauenswürdige Künstliche Intelligenz (KI) der europäischen Kommission vor und erläuterte die Pflichten von Digital Designers. Auch das Publikum durfte seine Meinung mithilfe einer Umfrage zu drei kritischen KI-Artikeln äußern. Es wurde beurteilt, ob eine KI gefährlich ist oder nicht und ob man diese als kritisch einstufen würde. Das Publikum war sich einig, dass waffenfähige KI kritisch betrachtet werden sollte, aber eine KI zur Stimmverbesserung nach ethischen Aspekten eher unbedenklich sei. Letztendlich wurde es in der Praxis aber genau gegenteilig umgesetzt: Die KI zur Stimmverbesserung wurde verboten, da sie diskriminierend gegenüber Frauen gewesen sei und die waffenfähige KI wurde erlaubt, weil dort zumindest noch ein Mensch gebraucht werde, um den Schuss auszulösen.
Parallel dazu boten Manuel Kulzer und Dr. Elisa Maria Entschew von den Kompetenzzentren Usability und eStandards durch ihren Tandemvortrag einen passenden Einstieg in die KI-Ethik. Zunächst erhielten Zuhörende eine kurze Einführung zum Grundprinzip von KI und Machine Learning (ML) und erfuhren darauf aufbauend an drei Beispielen, wie diskriminierendes und scheinbar “dummes” Verhalten von ML-Systemen in der Regel auf mangelhafte oder problematische Daten zurückzuführen ist. So musste z. B. eines der größten Bilddatensets für das Training von KI mittlerweile aufgrund kritischer Inhalte aus dem Netz genommen werden. Weiterhin wurde genauer auf die Grundfragen und aktuellen Probleme der KI-Ethik eingegangen. Außerdem wurde vorgestellt, warum und wie sich Unternehmen der Thematik annehmen sollten.
Auch die Sprache wurde dieses Jahr am WUD thematisiert. In seinem Vortrag zum Thema „Einfache Sprache für Mensch und Maschine“ startete Uwe Roth mit der Erklärung des Unterschieds zwischen leichter und einfacher Sprache. Darüber hinaus erzählte er von den Aktivitäten des Redaktionskreises DIN 8581-1 und der für 2022 geplanten Norm für Einfache Sprache. Er erläuterte, was laut DIN Norm die Verständlichkeit von Texten ausmacht, und welche Prinzipien beim Schreiben in einfacher Sprache beachtet werden sollten. Ergänzt wurde dieser Vortrag am Nachmittag durch den Young-Professionals-Beitrag von Patrizia Schiffrer zu „UX Writing“. Hier ging Frau Schiffrer der Frage nach, ob Humor in der digitalen Welt, bei Anwendungen und Applikationen überhaupt sinnvoll ist. Mit einer Online-Studie und der Valenzmethode konnte Sie zeigen, dass Humor das Nutzungserlebnis verbessern kann, aber auch, dass man vorsichtig sein muss, in welchem Kontext man ihn anwendet. Denn auch Humor kann negativ (beispielsweise als Beleidigung) aufgefasst werden.
Neben der Vielfalt an Vorträgen gab es am Vormittag auch zwei parallel stattfindende Workshops. Anne Krüger des Fraunhofer IAO zeigte Teilnehmenden wie man mit Warm-Ups eine produktive Atmosphäre & Freude in die Arbeit bringen kann. Hierbei konnten die Teilnehmenden selbst aktiv werden und den Input über Warm-Ups selbst testen. Es handelte sich dabei um kurze aktive „Kennenlernspiele“ für Gruppen in Online-Meetings. Dabei steht besonders die Kommunikation und Interaktion im Mittelpunkt, um die Distanz zu überwinden, die häufig vor allem in Online-Meeting entsteht.
Parallel dazu beschäftigte sich Cristina Hermosa Perrino von AKKA Technologies im Workshop “The Positive X“ - Warum klappt das nicht? mit dem Spannungsfeld zwischen Interesse und fehlender Umsetzung von positive UX in Unternehmen. Es wurden mögliche Anforderungen und Lösungsansätze analysiert und diskutiert.
Nach einer einstündigen Mittagspause ging es um 13:00 Uhr mit Vorträgen und Beispielen aus der Praxis weiter. Zunächst zeigten Lisa Reimer und Daniel Kurz von UID auf, welches Mindset in einem Unternehmen notwendig ist, um „Agile Methoden richtig zünden zu lassen“. Dabei wurde erläutert, dass es bei agilen Methoden nicht nur darauf ankommt, die Methoden richtig anzuwenden, sondern auch darauf, ein agiles Mindset zu entwickeln: Man muss es machen wollen! Eine Schulung reicht nicht aus, man muss sich intensiv mit agilem Arbeiten beschäftigen. Das Geheimnis, wie agile Methoden richtig zünden, ist laut Reimer und Kurz eine Kombination aus Motivation der Führungskraft, Mindset und Fähigkeiten der Mitarbeitenden (intern oder extern) und der richtigen Verzahnung.
Auf diese spannenden Erkenntnisse folgte ein weiterer Praxiseinblick – dieses Mal im „Public Sector“. Durch den Vortrag von Prof. Dr. rer. pol. Christian Schachtner der IU Internationalen Hochschule und Tabea Hein von der Hansestadt Lübeck wurde das Thema „UX im Public Sector“ und Reifegrad, Potenziale und Transfermöglichkeiten dazu vorgestellt. Sie zeigten auf, dass anwenderzentrierte End-to-End-Prozesse im öffentlichen Sektor häufig Neuland sind. Menschzentrierte und nutzendenfreundliche elektronische Dienstleistungen können allerdings auch für öffentliche Verwaltungen die Chance erhöhter Servicequalität und effizienterer Interaktion bieten. Darüber hinaus bieten sie Potenziale zu größerer Akzeptanz der Services, der Förderung von Teilhabe und der Stärkung von Kundenzufriedenheit. Über diese und weitere Themen wurde im Anschluss an den Vortrag noch ausführlich im Plenum diskutiert, sowie Beispiele und Erfahrungen ausgetauscht.
Nach einer kurzen Kaffeepause ging es mit dem spannenden Vortrag von Charly Da-Silva und Florian Dusch über ihr Projekt „How we created a modular, human-centric design for millions of ICE train travellers“ weiter. In Zusammenarbeit der DB und der Zigzag GmbH entstand ein modulares, menschzentriertes Reisendeninformationssystem für ICE-Züge. Die Referierenden stellten gemeinsam das System und dessen Entwicklung vor. Dabei spielte der Einsatz von Usability- und UX-Methoden eine große Rolle. Beispielsweise kamen die Methode der User Journey oder das Eye Tracking zum Einsatz. Durch die Einbeziehung der Nutzenden konnte der Kundenzufriedenheitsindex von 72 auf 87 gesteigert werden. Da Silva und Dusch erklärten dem Publikum dazu im Detail den Aufbau des Fahrgastinformationssystems – spätestens in 2 Jahren werden auch wir die neuen Fahrgastinformationssysteme in den ICEs der DB bestaunen können.
Den Abschluss der Praxiseinblicke bot der Beitrag von Andrea Berten von Carepath Technologies und Elisabeth Büllesfeld vom Komptenzzentrum Usability zum gemeinsamen Projekt „Patient Empowerment mit dem persönlichen Hustenmanager“. Dabei stellten sie die Zusammenarbeit beim Pilotprojekt zu NELA Cough vor. NELA ist ein Hustenmanager, eine Applikation, die Menschen bei chronischem Husten unterstützen und das Leben erleichtern soll. Nach einer Einführung zum Projekt und dem Einsatzgebiet wurden die angewandten Methoden erläutert, mit der die Applikation menschzentriert gestaltet werden sollte. Mehr zum Projekt hier.
Parallel zu den Vorträgen fanden wie auch am Vormittag wieder Workshops statt, zwei davon rund um das Thema KI. JJ Link und Anne Krüger zeigten in ihrem Workshop mit dem Titel „Mit Diskriminierung im Zusammenhang mit KI umgehen“, wo Diskriminierungen auftreten können und könnten. Nach der Betrachtung einiger Nutzungssituationen aus der Perspektive von Beteiligten wurde darüber diskutiert, wie die Diskriminierungen dort vermieden werden können. Falls sie doch auftreten, so wurde überlegt, wie die Situationen im Sinne einer positiven User Experience so gestaltet werden kann, dass die Nutzenden trotzdem ein möglichst positives Erlebnis mit dem KI-System haben.
Im zeitgleich stattfindenden Workshop zu „Evaluation der Mensch-KI-Zusammenarbeit“ stellte Manuel Kulzer vom Kompetenzzentrums Usability den Teilnehmenden die Methode der Heuristischen Evaluation vor – eine alte und bewährte Methode, die jedoch unter Verwendung neuer Richtlinien für die Gestaltung der Mensch-KI-Interaktion (anstelle der klassischen Usability-Heuristiken von Nielsen) wieder eine große Relevanz erhält. Im Anschluss durften die Teilnehmenden die Methode in zwei Kleingruppen selbst ausprobieren, um damit einen extra für den Workshop vorbereiteten Clickdummy einer KI-App zu testen. Dabei wurden z.B. in Bezug auf die Transparenz und Fehlertoleranz der KI-Funktionen der App einige erhebliche Mängel festgestellt.
In den abschließenden Beiträgen der Workshops-Slots wurde den WUD-Teilnehmenden in zwei Workshops die Methode des LEGO® SERIOUS PLAY® nähergebracht. Carina Völpel und Jenny Völpel von UID zeigten den Teilnehmenden, wie sie mit der Methode Ideen entwickeln, diese schnell greifbar machen, Herausforderungen überwinden oder die Zusammenarbeit im Team verbessern können. Anna Hoffmann von intense impact und ihre Workshop-Teilnehmenden beschäftigten sich parallel dazu mit wertebasiertem Fehlermanagement. Dabei wurde interaktiv in die Thematik „Fehlermanagement für Psychologische Sicherheit“ nach Prof. Amy Edmondson eingeführt. Teilnehmende beschäftigten sich mit den Eigenschaften, Ursachen und werteorientierten Handlungsmaßahmen im Umgang mit den drei Fehlerkategorien: Vermeidbare, komplexe und intelligente Fehler.
Den letzten Programmpunkt des WUD Stuttgart bildeten unsere Young Professionals mit ihren fesselnden und erfrischenden Vorträgen und Forschungsarbeiten rund um die Themen Usability und User Experience. Patrizia Schiffrer, Informationsdesignerin der Hochschule der Medien (HdM), startete den Slot mit der Vorstellung ihrer Forschungsarbeit (siehe oben). Sie widmete sich im Vortrag der Frage, ob Humor in der digitalen Welt, bei Anwendungen und Applikationen überhaupt Sinn macht (mehr dazu hier).
Amelie Bustorff, ebenfalls Young Professional an der HdM, präsentierte einige zentrale Erkenntnisse ihrer Masterthesis im Fach Media Research zum Thema „Virtuelles Teamwork“. Sie zeigte auf, wie die professionelle Zusammenarbeit in der Virtuellen Realität (VR) aktuell funktioniert und welche Einschränkungen es hinsichtlich der Kommunikation und Interaktion gibt. Auf dieser Basis gab sie Gestaltungshinweise, wie die VR-Zusammenarbeit in Zukunft gefördert werden kann. Außerdem wurde anhand von zwei Prototypen dargestellt, wie das erste Kennenlernen zwischen mehreren Personen in VR aussehen könnte.
Im letzten Beitrag stellte Karen Neufeld die Vorstudie ihrer Masterthesis im Fach Media Research zum Thema Cyber-Sicherheit vor. Mit dem Titel „Feeling secure in the Cyber-world“ führte sie die Zuhörenden durch ihre qualitativ durchgeführte Interviewbefragung, durch die herausgefunden werden konnte, dass sichere Situationen nicht unbedingt zu einem Gefühl der Sicherheit führen. Harte Faktoren, die ein Sicherheitsgefühl begünstigen würden, sind Stabilität/Zuverlässigkeit, Vorhersehbarkeit/Planbarkeit, Kontrolle und Einfachheit. Weiche Faktoren stellen Zugehörigkeit, Ruhe/Harmonie, Wärme und Lockerer Umgang dar.
Am Ende des Tages verabschiedeten Anika Spohrer und Patrick Stern die Teilnehmenden des WUD Stuttgart. Wir danken dem Team des WUD Stuttgart 2021 und unseren Unterstützenden und Partnern, ohne diese der WUD so nicht möglich gewesen wäre. Wir freuen uns schon auf nächstes Jahr und hoffen, Sie bis dahin wieder vor Ort begrüßen zu dürfen.
„Stellenweise hatten wir über 180 Zuhörende! Es ist nicht leicht, Menschen in diesen Zeiten vor die Bildschirme zu bekommen, aber die Vortragenden haben es geschafft! Ich bin nicht müde, sondern begeistert. Lasst uns gute UUX designen.“ (Patrick Stern)
O-Töne der Teilnehmenden
„Der Usability Day war eine tolle Möglichkeit neue Einblicke in viele verschiedene Bereiche der Usability zu bekommen und an spannenden Workshops mitzuarbeiten. Wir erlangten viele neue Erkenntnisse und lernten, was sich alles hinter dem Thema Usability verbirgt.“
„Ich bin sicher, dass alle ihre Denkhorizonten erweitert haben. Alle Beispiele wurden in Kontext gebracht und das hat eine entscheidende Rolle bei dem Verstehen der Information.“
„Zurückblickend empfand ich den World Usability Day als sehr interessant und ich habe einige neue Anschauungsweisen und Themen kennengelernt.“
30.11.21