In der Blogbeitragsserie Die diverse Seite der Digitalisierung begreifen wir uns als Multiplikatorinnen, um dem Themenspektrum Diversität, Digitalisierung und menschzentrierte Gestaltung eine Plattform zu bieten. Wir recherchieren Themen und interviewen Expertinnen um unsere eigenen offenen Fragen zu beantworten. Denselben Ansatz haben wir auch im Workshop Warum Diversität das Beste ist, was Ihrem Unternehmen passieren kann verfolgt. Wir haben Expertinnen eingeladen, sich explizit Gedanken dazu zu machen, welche positiven Effekte Diversität mit sich bringt und eben nicht nur darüber nachzudenken, welche Schwierigkeiten und Herausforderungen es auf diesem Gebiet gibt.
Den Anfang machte Catherine Gouriou, Gründerin der Amelior GmbH und Betreuerin der Special Interest Group Diversity in Tech der bwcon GmbH. Besonders eindrücklich war, wie sie in ihren Vortrag einstieg: Sie forderte alle Teilnehmerinnen auf, sich mit drei Worten selbst zu beschreiben. An einem Eisbergmodell zeigte sie dann auf, wie wenig diese für das eigentliche Selbst relevanten Beschreibungen mit unseren sichtbaren und messbaren Qualitäten zusammenhängen und wie wenig diese heutzutage im Rekrutierungsprozess Berücksichtigung finden. Anschließend ging sie unter anderem darauf ein, durch welche Maßnahmen Unternehmen ihren Bewerbungsprozess optimieren können um wirklich ALLE Talente erkennen, auswählen und auch im Unternehmen halten zu können.
Klaus Honold vom Kompetenzzentrum Digitale Barrierefreiheit der Hochschule der Medien machte in seinem Vortrag deutlich, welche Chancen Unternehmen entgehen, wenn sie Menschen mit Einschränkungen nicht als Gewinn für ihr Unternehmen begreifen. Er stellte fest, dass Menschen mit Einschränkungen nicht nur ein Recht auf Arbeit haben, sondern zeigte eindrücklich auf, warum Unternehmen von Mitarbeiterinnen mit Einschränkungen profitieren (z. B. haben Menschen mit Einschränkungen häufig geringere Fehlzeiten und Teams werden durch die diverse Perspektive dieser Menschen innovativer). Persönlich berührt wurden wir Zuhörerinnen als er herausstellte, dass wir alle – durch den natürlichen Prozess des Alterns - irgendwann Menschen mit Einschränkungen sein werden. Also werden auch uns dann heute entwickelte Hilfsmittel aber auch die Wertschätzung auf dem Arbeitsmarkt zugutekommen.
Auf die Rolle der Digitalisierung gingen dann Dr. Viola Hellge und Ilknur Atakli vom Mittelstand-Digitalzentrum Kaiserslautern ein. Diversität kann sich in unterschiedlichen Merkmalen äußern (Geschlecht, Herkunft, Alter etc.). Im Vortrag stellten sie explizite Digitalisierungsmaßnahmen vor, die von Unternehmen genutzt werden können, um Diversität auf diesen Ebenen zu unterstützen. Wesentliche Erkenntnisse aus dem Vortrag waren, dass Unternehmen von diversen Belegschaften profitieren und diverse Belegschaften durch digitale Maßnahmen eher etabliert werden können.
Zum Abschluss des Workshops wurde ein Konzept vorgestellt, das mit dem Ansatz der menschzentrierten Gestaltung entwickelt wurde und transidente Menschen beim Coming-Out auf der Arbeit unterstützen soll. Coming-Out Loud ist ein Spiel, mitkonzipiert und vorgestellt von Deborah Adar und Vera Lebedeva-Meergans in der Lehrveranstaltung Information Experience Design von Anne Krüger. Es handelt sich dabei um ein Kartenspiel, welches transidente Personen in einer geschützten Atmosphäre spielen können (z. B. mit Freunden), um das Coming-Out Gespräch bei der Arbeit vorzubereiten. Der Fokus der Spielentwicklung lag auf den psychologischen Bedürfnissen der transidenten Menschen nach Sicherheit, Verbundenheit, Selbstverwirklichung und körperlichem Wohlbefinden. Darüber hinaus kann das Spielkonzept auf das Coming-Out anderer Personengruppen z. B. aus der LGBTQI+-Community übertragen werden.
Die Vorträge nahmen eindrücklich eine lösungsorientierte Perspektive mit dem Fokus auf positiven Effekten von Diversität ein. Welche Erkenntnisse konnten wir daraus für Individuen, Unternehmen und Gesellschaft gewinnen?
Individuum
- Individuen fühlen sich gesehen und angenommen. Sie können authentisch sein und ein gutes (Arbeits-)leben führen.
- Hierdurch können Individuen ihr volles Talent und Potenzial (auf der Arbeit) entfalten.
- Arbeit ist für ein Individuum oft mehr als die reine Ausübung einer Tätigkeit - sie ist sozialer Kontaktpunkt sowie häufig verknüpft mit Selbstbestimmung, Selbstvertrauen, Zuversicht und Lebenssinn. Ein positives Mindset in Gesellschaft und Unternehmen im Hinblick auf Diversität ermöglicht idealerweise, dass alle Individuen Zugang hierzu haben.
Unternehmen
- Unternehmen rekrutieren und integrieren die Talente, die aktuell wegen Unconscious Biases im Rekrutierungsprozesses aussortiert werden. Gerade im Rekrutierungsprozess können diese unbewussten Vorurteile kritische Fehlentscheidungen verursachen, die Fähigkeiten anderer werden übersehen, was die Belegschaft langfristiger homogener macht. Dies kann die Innovationsfähigkeit des Unternehmens stark einschränken.
- Insofern Unternehmen einer solchen Benachteiligung bewusst entgegenwirken, können sie ihr Potenzial voll ausschöpfen. Das Verständnis für neue Zielgruppen wird erhöht und erleichtert den Einstieg in weitere Märkte, denn inklusive gemischte Teams bringen Gewinn in den Bereichen Innovation, kreative Lösungen und Produktivität.
- Digitale Tools, anonymisierte Bewerbungen, ein diverses Team bei Einstellungen und die bewusste Optimierung von Stellenanzeigen bieten u. a. die Chance zur Erhöhung der Objektivität im Auswahlprozess. Dies allein wird jedoch nicht helfen, das Problem der Unconscious Biases zu lösen. Eine inklusive Arbeitsatmosphäre und Personalpolitik, das Wertschätzen von Unterschiedlichkeit und eine Unternehmenskultur die Rücksicht auf spezielle Bedürfnisse nimmt (wie z. B. die Vereinbarkeit von Familie und Beruf), schafft weitere Voraussetzungen, die Offenheit und Lernfähigkeit der Organisation zu sichern und sich besser an den gesellschaftlichen Wandel anzupassen.
- Das Unternehmen profitiert von mehr Zufriedenheit der Beschäftigten, niedrigerer Kosten durch weniger Fluktuation und wird ein attraktiverer Arbeitgeber.
- Changemanagement, d. h. zum Beispiel aktives Reflektieren, Sensibilisierung aller Akteurinnen im Unternehmen, Ziele und Richtlinien zur Diversität am Arbeitsplatz und eine deutliche Kommunikation dieser hilft Diskriminierung abzubauen.
Gesellschaft
- Verständnis füreinander: Arbeitsplätze sind ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen. Je diverser diese Menschen sind, desto „normaler“ wird eine bunte Gesellschaft.
- Demographischer Wandel: Wir werden immer älter und damit steigt auch die Anzahl der Menschen, die mit Einschränkungen leben und auch arbeiten. Je früher wir uns also darauf vorbereiten, desto länger können wir von der Arbeitskraft und den Potenzialen dieser Menschen profitieren.
- New Normal: Je diverser Belegschaften aufgestellt sind, desto diverser sind auch die Vorbilder, die wir dem Nachwuchs bieten können. So kann es für jede „normal“ werden, ihre Potenziale in alle Richtungen entfalten zu können.
Der Workshop zeigte deutlich, wie gewinnbringend es ist, neben einer problemorientierten Sichtweise auf das Thema Diversität auch eine positive und lösungsorientierte Perspektive einzunehmen und welche konkreten Schritte sich daraus ableiten lassen.
Anmerkung:
Die Blogbeiträge dieser Serie werden im generischen Femininum geschrieben.
03.06.22