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In einer zweiteiligen Reihe werden die Grundlagen sowie beispielhaft KI-Use-Cases von Satellitendaten vorgestellt.

Das Auffinden von KI-Use-Cases und die Verfügbarkeit entsprechender Daten sind wesentliche Faktoren, um KI/Machine Learning erfolgreich in die Anwendung zu bringen. Ergänzend zu eigenen Daten können Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen hilfreich sein.

Ein Beispiel dafür sind Daten des Satellitenpaares Sentinel-2. Diese gehören zum Erdbeobachtungsprogramm Copernicus der Europäischen Kommission und der Europäischen Weltraumorganisation und haben das Ziel, hochauflösende und qualitativ hochwertige Satellitenbilder zur Verfügung zu stellen, um Herausforderungen im Klimaschutz, der Landüberwachung, Ernährungssicherheit der Weltbevölkerung sowie im Katastrophen- und Krisenmanagement zu bewältigen.

Insbesondere in Verbindung mit Deep-Learning-Technologien können mit den Daten interessante Anwendungsfälle entwickelt werden. Ziel dieses Artikels ist es, ein Verständnis zu schaffen, welche Informationen die Daten liefern, um mögliche Anwendungsfälle im eigenen Umfeld erkennen zu können.

Potenziale für die Anwendung dieser frei zugänglichen Satellitendaten sind enorm. Im Folgenden ein paar Beispiele:

  • Erkennung von Plastikverschmutzung in den Meeren
  • Baumartenklassifizierung in der Forstwirtschaft
  • Klassifikation der Bodenbedeckung (verbaute Flächen, Wiesen, Mischwald, Wasser)
  • Erkennen von Wachstumsproblemen in der Landwirtschaft, um den Einsatz von Pestiziden zu reduzierten und/oder die Bewässerung zu optimieren
  • Erntevorhersagen in der Landwirtschaft
  • Waldbranderkennung
  • Erkennung von Vegetationsveränderungen
  • Erkennung des Algenwachstums an Küsten
  • Monitoring von Überflutungsflächen
  • Überwachung von Schadstoffemission durch Rauchwolkenerkennung

Die Artikelreihe besteht aus zwei Teilen:

  • Satellitendaten verstehen – die Grundlagen
  • Satellitendaten in der Anwendung – beispielhafte KI-Use-Cases

Teil 1: Satellitendaten verstehen – die Grundlagen

Siehe Abbildung 1: Ein Sentinel-2-Satellit, Quelle: www.esa.int/

Wie sehen Satellitendaten aus?

In der Regel werden Satellitendaten als Rasterdaten erfasst. Ein Raster kann man sich in diesem Fall als einen Ausschnitt der Erdoberfläche vorstellen. Die Informationen darin sind als Gitter angeordnet, wobei jede Zelle einen Wert enthält. Meist kennt man Satellitenbilder als fotografische Aufnahmen – in diesem Fall enthält eine Zelle (ein Pixel) drei Farbwerte (rot, gelb, grün). Ein schwarzes Gebäude absorbiert viel Licht, sodass die Pixel, die dieses Gebäude erfassen, im sichtbaren Bereich sehr kleine Werte haben. Es lassen sich aber noch viel mehr Informationen erfassen, indem nicht nur Bildaufnahmen erstellt, sondern zudem Strahlungen erfasst werden, die das menschliche Auge nicht wahrnimmt. Halten wir an dieser Stelle fest: Jede Rasterzelle (Pixel) steht für die Intensität der von der Erdoberfläche reflektierten Strahlung im definierten Spektralbereich.

Wichtige Charakteristiken zur Unterscheidung der Auflösung von Satellitendaten:

  • Die räumliche Auflösung gibt die Größe der Erdoberfläche an, die ein Rasterzelle abbildet. Die Sentinel-2-Satelliten liefern 10 Bänder in einer räumlichen Auflösung von 10 oder 20 m und drei Bänder in einer Auflösung von 60 m.
  • Die zeitliche Auflösung gibt die Wiederholungsrate an. Das ist die Dauer zwischen zwei Überflügen eines Gebiets. Bei den Sentinel-2-Satelliten entspricht diese Dauer 5 Tagen.
  • Die spektrale Auflösung gibt die Anzahl der Spektralkanäle und deren Bandbreite an. Die Sentinel-2-Satelliten liefern 13 Bänder im Wellenlängenbereich von ca. 420 bis 2202 nm.

Das Spektrum der elektromagnetischen Strahlung der Sonne reicht von sehr kurzwelligen Röntgenstrahlen mit Wellenlängen um 0,1 nm bis zu langwelligen Radiowellen um die 1 m (siehe Abbildung 2). Nur ein kleiner Bereich, VIS genannt, von 400 nm (violett) bis 750 nm (rot) ist für den Menschen sichtbar. Die sehr kurzen Wellen werden Röntgenstrahlen genannt, darauf folgt die ultraviolette Strahlung, gefolgt von dem für den Menschen sichtbaren VIS-Bereich. Anschließend die Infrarotstrahlung (IR), die in weitere Bereiche unterteilt wird: nahe Infrarotstrahlung (NIR), mittlere Infrarotstrahlung (MIR) und ferne Infrarotstrahlung (FIR). Auf die Infrarotstrahlungsbereiche folgen die Mikrowellen und zuletzt die Radiowellen.

Siehe Abbildung 2 Spektrum der elektromagnetischen Strahlung der Sonne, Quelle: www.sattec.org/unterrichtsmaterial/anleitung_diy_fernerkundung.pdf

Neben dem sichtbaren Licht sind insbesondere die NIR- und MIR-Bereiche bei der Satellitenfernerkundung von besonderem Interesse. Der NIR-Bereich liefert Informationen über die Oberflächen, der MIR-Bereich über die Wärmestrahlung. Satelliten wie Sentinel-2 erfassen mit speziellen Sensoren die Strahlung, die vom Erdboden reflektiert wird.

Welche Informationen liefern die Reflexionen?

Jede Oberfläche hat ein ganz spezielles, individuelles Reflexionsverhalten, wie eine Art spektraler Fingerabdruck. Dieser Fingerabdruck kann in einer sogenannten spektralen Reflexionskurve dargestellt werden. Es handelt sich dabei um eine Funktion, welche die Reflexionsstärke auf den Wellenlängen abbildet. In Abbildung 3 ist die Reflexionskurve von gesunder Vegetation zu sehen. Wir Menschen nehmen gesunde Vegetation unter anderem durch die grüne Farbe von Blättern wahr. Das zeigt sich auch in der Reflexionskurve: Ein grünes Blatt absorbiert den roten und blauen Wellenlängenbereich der Sonnenstrahlen weitgehend, da diese Strahlung zur Photosynthese genutzt wird. Der grüne Wellenbereich wird stärker reflektiert, zu erkennen an dem lokalen Maximum bei 550 nm. Außerdem werden Strahlungen im Infrarotwellenbereich reflektiert, insbesondere im nahen Infrarotwellenbereich (NIR). Bei den Wellenlängen 1400 nm und 1900 nm werden große Teile der Strahlung von dem in der Pflanze enthaltenen Wasser absorbiert.

Siehe Abbildung 3: Reflexionskurve einer vitalen Pflanze, Quelle: learn.opengeoedu.de/fernerkundung/vorlesung/vegetationsmonitoring

Eine nicht vitale (gestresste) Pflanze absorbiert den NIR-Bereich stark (siehe Abbildung 4).

Siehe Abbildung 4: Reflexionskurven einer nicht vitalen und vitalen Pflanze im Vergleich, Quelle: Kokaly, et. al 2017

Wie können diese Informationen in Zahlen erfasst werden?

Für die Fernerkundung wurden eine Menge von Indizes, also Kennzahlen, definiert. Die Indizes sind meist definiert durch eine bestimmte Kombination unterschiedlicher spektraler Bänder. Die Reflexionsstärke wird mit Satelliten und deren speziellen hochsensiblen Sensoren aufgezeichnet und in Bänder unterteilt verarbeitet und gespeichert.

Ein Band enthält zum Beispiel die Reflexionsstärke um die Wellenlänge 650 nm (rot). Ein anderes Band enthält die Reflexionsstärke um die Wellenlänge 800 nm (NIR). So lässt sich über den spektralen Fingerabdruck (spektrale Reflexionskurve) von gesunder Vegetation der Normalized Difference Vegetation Index (NDVI) bestimmen. Dieser beschreibt das Verhältnis der Reflexionsstärke von Rot und NIR. Je größer der Unterschied, umso vitaler (gesünder) die Vegetation.

Siehe Abbildung 5: Beispielwerte für Rot- und NIR-Strahlung vitaler/nicht-vitaler Pflanze, Quelle: eos.com/blog/ndvi-faq-all-you-need-to-know-about-ndvi/

Der NDVI (Normalized Difference Vegetation Index) wird wie folgt berechnet:

NDVI = (NIR-Red)/(NIR+Red)

Für jeden Bildpunkt (Koordinate) wird der NDVI berechnet. Mittels einer Farbzuweisung der Werte, zum Beispiel Werte > 1 blau, Werte < 1 und > 0,5 hellblau, Werte um null weiß und rot für negative Werte, entsteht ein neues Bild (siehe Abbildung 6). Aus diesem sogenannten Falschfarbenbild lassen sich einfach Aussagen über die Vegetation treffen.

Siehe Abbildung 6: Beispiel Echtfarbenbild links, Falschfarbenbild rechts

Für andere Oberflächen wie Wasser oder Böden existieren ebenfalls spektrale Fingerabdrücke (siehe Abbildung 7) und daraus abgeleitete Indizes.

Siehe Abbildung 7: Reflexionskurven von Wasser, Vegetation und trockenem Boden, Quelle: seos-project.eu/remotesensing/remotesensing-c01-p06.de.html

Interessant ist die Veränderung der Charakteristiken einzelner Unterarten. Am Beispiel der Vegetation besitzen Baumarten eigene Reflexionskurven, die der Vegetationskurve (allgemein) ähnlich, jedoch differenzierbar sind (siehe Abbildung 8).

Siehe Abbildung 8: Reflexionskurven unterschiedlicher Baumarten, Quelle: www.dgpf.de/src/tagung/jt2016/proceedings/papers/39_DLT2016_Immitzer_et_al.pdf

Gleiches gilt für verschieden Bodenarten und Bodenzustände. Aus der spektralen Reflexionskurve von trockenem Boden lässt sich im sichtbaren und nah-infraroten Bereich ein proportionaler Anstieg der Reflexionsstärke mit wachsender Wellenlänge erkennen. Wie stark dieser Anstieg ausfällt und auf welchem Niveau dieser liegt, hängt von vielen Faktoren ab. Die räumliche Anordnung der festen Bodenbestandteile entscheidet darüber, ob der Boden die Strahlung als diffuser Steuer reflektiert.

Bodenfeuchte und organische Substanz erhöhen das Absorptionsvermögen des Bodens und führen so zu einem insgesamt niedrigeren Reflexionsvermögen (siehe Abbildung 9). Diese beiden Faktoren stehen in Beziehung zueinander. Tonböden besitzen andere Bestandteile und eine andere Struktur als Sandböden, weshalb sie besser in der Lage sind, Wasser zurückzuhalten, und einen höheren Anteil an organischem Material enthalten. Dies hat zur Folge, dass Tonböden generell eine niedrigere Rückstreuung als Sandböden aufweisen und somit dunkler erscheinen. Wasser reduziert zudem die Reflexion im Bereich kurzwelliger Infrarotstrahlung, insbesondere bei Wellenlängen um 900, 1400, 1900 und 2200 nm.

Siehe Abbildung 9: Rückstreuung des gleichen Bodens bei unterschiedlichem Feuchtegrad, Quelle: seos-project.eu/resources/resources-c01-s04.de.html

In Abbildung 10 sind die 13 Bänder der Sentinel-2-Daten zu sehen. Der NDVI-Index wird aus den Bändern B4 und B8 berechnet.

Siehe Abbildung10: Die spektralen Bänder der Sentinel-2 Daten, Quelle: directory.eoportal.org/web/eoportal/satellite-missions/c-missions/copernicus-sentinel-2

Neben dem NDVI gibt es noch zahlreiche weitere Indizes. Im Folgenden werden der NDWI- und der DSWI-Index vorgestellt.

NDWI (Gao) Normalized Difference Water Index

NDWI = (NIR-SWIR)/(NIR+SWIR)

Der NDWI nach Gao liefert Informationen über den Wassergehalt in den Blättern und eignet sich sehr gut, um den Wasserstress bei Pflanzen festzustellen. Das kurzwellige (SWIR) und das nahe (NIR) Infrarot werden genutzt, um einen Index für den Feuchtigkeitsgehalt zu erstellen. Eine feuchte Vegetation zeigt sich in hohen Werten. Niedrige Werte deuten darauf hin, dass die Pflanzen durch unzureichende Feuchtigkeit unter Stress stehen.

DSWI Disease Water Stress Index

DSWI = (NIR-GREEN)/(SWIR1+RED)

Der DSWI ist empfindlich gegenüber Stress aufgrund von Wassermangel und Pflanzenschäden. Derartige Vegetationsindizes werden zum Beispiel bei der Überwachung von Borkenkäferausbrüchen im Białowieża-Nationalpark in Polen eingesetzt.

Eine Vielzahl weiterer Indizes sind in der Index-Datenbank zu finden:

https://www.indexdatabase.de/db/s-single.php?id=96

Die interaktive Playground-Funktion des Sentinel-Hubs ermöglicht es außerdem, verschiedene dieser Indizes zu erkunden:

https://www.sentinel-hub.com/explore/sentinelplayground/

Nach Auswahl eines Indizes und einer Region wird der Ausschnitt als Falschfarbenbild dargestellt (siehe Abbildung 11).

Siehe Abbildung 11: Sentinel-Hub Playground

Im zweiten Teil – folgt Ende November – werden Beispiele für Anwendungen von Satellitendaten in KI-Use-Cases vorgestellt.


 


17.11.21

Kontakt

Patrick Takenaka
  • Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Usability

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