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Neil Armstrong kennt man. Die ein oder andere wohl auch den Oscar-nominierten Film Hidden Figures – Unbekannte Heldinnen. Annie Jean Easley wohl eher nicht. Die Afroamerikanerin war eine dieser unbekannten Heldinnen, die Männern bei der Eroberung des Weltalls half. 34 Jahre lang arbeitete sie als Informatikerin bei der NASA und ist – auch elf Jahre nach ihrem Tod – ein Vorbild für uns.

Easley wird 1933 in Birmingham geboren. Die Stadt im Süden der USA ist geprägt von Industrie, der Staat Alabama (auch heute noch einer der ärmsten in den USA) von Plantagenlandwirtschaft – und der Idee der White Supremacy, der weißen Überlegenheit. Schwarze Menschen werden rechtlich, wirtschaftlich und kulturell diskriminiert. Rassismus und Rassentrennung stehen hier bis in die 70er Jahre auf der Tagesordnung. Auch, nachdem die Civil Rights, also die Bürgerrechte für Schwarze Amerikanerinnen und damit die Aufhebung der „Rassentrennung“ offiziell längst durchgesetzt wurden.

Grassierender Rassismus prägt Easleys Kindheit, ihre Chancen auf eine Karriere sind begrenzt. Schwarze Kinder werden ausgeschlossen, sie müssen schlechtere Schulen besuchen. Auch in anderen öffentlichen Einrichtungen, Restaurants und Geschäften gibt es getrennte Bereiche. Über Birmingham soll Martin Luther King gesagt haben, es sei die Stadt mit der größten Rassentrennung im ganzen Land. Doch Easleys Mutter gibt ihr einen entscheidenden Rat mit: “You can be anything you want to be, but you have to work at it.” Easley studiert Pharmazie in New Orleans und landet 1955 als Informatikerin bei der NASA, damals noch NACA, in Cleveland (Ohio).

Zu dieser Zeit ist sie dort eine der ersten Frauen aus einer Minderheit: Ihren Job bekommt sie als eine von vier Schwarzen Amerikanerinnen. Auch bei der NASA haben es People of Colour schwer, weibliche umso mehr. Männer prägen die Branche. Informatiker gelten als “menschliche Computer”, Frauen als “Computresses”, Schwarze Frauen als “colored computers”. Sie dürfen nicht in den gleichen Büros arbeiten, dürfen nicht die gleichen Toiletten benutzen und nicht am gleichen Kantinentisch zu Mittag essen. Weil sie Schwarz und weiblich sind. Während Männer die Erfolge der Luftfahrt einheimsten, rechneten unzählige Frauen lediglich mit Stift, Zettel und einfacher Rechenmaschine in Hinterzimmern für sie – unabdingbare, komplizierte und zeitaufwendige Arbeit. Seit den 30ern setzte die NASA übrigens auf Frauen, die die “mühsame, aber unentbehrliche ‘Fußvolk"-Arbeit’ leisteten – deutlich schlechter bezahlt.

Easley trotzt dem – wie so viele der “Rocket Girls”, die viel zu lange vergessen wurden. 2001 sagte sie in einem Interview: I was not about to be discouraged that I’d walk away. That may be a solution for some people, but it’s not mine. […] I’m out here to get the job done, and I knew I had the ability to do it, and that’s where my focus was.”* Für ihre Entschlossenheit wird sie heute bewundert. Als in den 70ern Computer aufkommen, zeigt sich Easley progressiv: Sie geht mit der Zeit und lernt zu programmieren, zum Beispiel die Computersprache Fortran. Neben unzähligen eigenen Veröffentlichungen entwickelt die US-Amerikanerin Codes für die Forschung an Energieumwandlungssystemen. Vor allem das Projekt Centaur machte die Raketenwissenschaftlerin bekannt. Ihre Beiträge zu Batterietechnologien waren entscheidend für die Starts von Satelliten und Raumfahrzeugen. So auch für die Cassini-Mission zum Saturn 1997.

Easley hatte nicht nur technisches Verständnis, sondern auch Ehrgeiz, Disziplin und soziales Engagement: Neben ihrer Arbeit studierte sie Mathe und setzte sich für die Rechte von Frauen und Minderheiten ein. Bei der NASA berät sie Vorgesetzte zur Chancengleichheit und unterstützt bei Fragen zu Geschlecht, Herkunft  und Alter. Sie gibt Nachhilfe und motiviert Minderheitengruppen zu einer naturwissenschaftlichen Karriere. Sie zeigt, dass jede in Mathematik glänzen kann. Mit ihrer Energie zieht sie uns in den Bann. Das ist, was Unternehmen auch heute brauchen: Menschen, die sich für ihre eigenen Rechte und die anderer stark machen und damit Barrieren sprengen.

Dabei ist Easleys Leben immer wieder von Rassismus geprägt. 1954 zum Beispiel muss die Studentin einen Lese- und Schreibtest ablegen, um wählen zu dürfen. Der sogenannte Literacy Test war vor allem in den Südstaaten eine gängige Praxis, um Schwarze Amerikanerinnen  von Wahlen auszuschließen. Weiße waren davon ausgenommen. Bei dem Test wurden absurde Fragen wie die Namen aller 67 County-Richter im Staat oder die Blasenmenge in einem Stück Seife gestellt. Ob eine befragte Person den Test bestand, lag im Ermessen der fragenden Beamtinnen. Und nicht nur das: Um an Wahlen teilnehmen zu können, mussten Schwarze zusätzlich Kopfsteuern zahlen. Auch hiervon waren Weiße ausgenommen. 1964, zehn Jahre später, hob der Civil Rights Acts zumindest juristisch die Trennung von Schwarzen und Weißen auf. Ein Jahr zuvor, 1963, macht sich die Birmingham-Bewegung friedlich für die Integration von Schwarzen Amerikanerinnen stark und ebnet den Weg für den Civil Rights Act. Nicht nur Easley war dabei, auch Martin Luther King.

2011 starb Easley. Sie glaubte stets fest daran, dass Bildung etwas ändern kann.  

 

Was zeigt uns das Beispiel Easley?

Easleys Leistung – und die unzähliger schlauer Frauen in Hinterzimmern – wurde viel zu spät beachtet und gebührend gewürdigt. In einer Zeit, wo Rassismus virulent und die Rollenteilung zementiert sind, setzt sich Easley über Grenzen hinweg. Neben ihrer grandiosen mathematischen Leistung ist beachtenswert, dass sie sich nicht den Mund verbieten lässt. Sie macht sich zum Beispiel dafür stark, dass Frauen Hosenanzüge tragen dürfen – anstatt dekorativer Röcke. Sie verbindet naturwissenschaftliches Geschick und soziale Kompetenz – auch in der heutigen Arbeitswelt eine unabdingbare Kombination. Uns beeindruckt dabei ihr Vertrauen in ihre Fähigkeiten und ihre Furchtlosigkeit. Es kostet Mut und Energie, gegen bestehende Barrieren anzukämpfen. Strukturen müssen so gestaltet werden, dass auch Minderheitengruppen die Chance haben, wahrgenommen zu werden. Ein Vorbild wollte die Wissenschaftlerin übrigens nie sein.

 

*"Ich wollte mich nicht entmutigen lassen, sodass ich weggehen würde. Das mag für einige Leute eine Lösung sein, aber das ist nicht meine. [...] Ich bin hier, um meine Arbeit zu erledigen, und ich wusste, dass ich dazu in der Lage war, und darauf habe ich mich konzentriert.“

 

Anmerkung:
Dieser Artikel ist bewusst im generischen Femininum geschrieben. Erfahren Sie mehr über unsere Motivation hierzu im ersten Artikel.

Quellen:
Glenn Research Center: https://www.nasa.gov/centers/glenn/about/bios/african_american_hist_month.html

NASA: https://www.nasa.gov/image-feature/annie-easley-computer-scientist-and-mathematician

Spiegel: https://www.spiegel.de/geschichte/rocket-girls-der-nasa-die-raumfahrt-pionierinnen-um-katherine-johnson-a-1115066.html

https://massivesci.com/articles/annie-easley-facts-stem-mathematician-nasa-scientist-discrimination/

https://web.archive.org/web/20180712121629/http://obits.cleveland.com/obituaries/cleveland/obituary.aspx?n=annie-jean-easley&pid=152269470

 

 


28.11.22

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