Das Wichtigste zuerst: Was ist ein Usability-Test? Die meisten Fachleute haben ein einheitliches Verständnis der Methode. Beim Usability-Testing wird beobachtet, wie gut eine Stichprobe der Endnutzenden bestimmte Aufgaben erfüllt, für die sie die Software einsetzen. Das Testen ist für Unternehmen jeder Größe relevant: Eine inspirierenden Einblick darin, dass alle Unternehmen von Usability-Tests profitieren, bietet der Artikel “Preaching Usability Testing” (Usability-Tests predigen), welche von Mitarbeitenden eines mittelständischen Streamingdienstes verfasst wurde.
Was standardisierte Anleitungen angeht, so gibt es ISO-Normen, welche sich mit Gebrauchstauglichkeit beschäftigen, darunter ISO 9241 (Ergonomie der Mensch-System-Interaktion). In Teil 11 dieser Norm wird die Benutzerfreundlichkeit anhand der folgenden Kriterien gemessen:
- “Effektivität: Genauigkeit und Vollständigkeit, mit denen Benutzer bestimmte Ziele erreichen
- Effizienz: eingesetzte Ressourcen im Verhältnis zu den erreichten Ergebnissen
- Zufriedenstellung: Ausmaß der Übereinstimmung der physischen, kognitiven und emotionalen Reaktionen des Benutzers, die aus der Benutzung eines Systems, eines Produkts oder einer Dienstleistung resultieren, mit den Benutzererfordernissen und Benutzererwartungen” [1]
Diese Norm bietet auch eine Definition der Gebrauchstauglichkeit: Sie ist das Ausmaß, “in dem ein System, ein Produkt oder eine Dienstleistung durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen” [1].
Nachdem wir die Definition geklärt haben, wollen wir uns nun einige der größten Missverständnisse im Zusammenhang mit Usability-Tests ansehen.
Mythos 1: „Wir brauchen keine Usability-Tests“
Es ist sowohl aus kultureller als auch aus geschäftlicher Sicht ausreichend, wenn die Unternehmensführung (und das Produktteam) wirklich von der Software begeistert sind. Sie kennen den gesamten Markt in- und auswendig, haben eine große Leidenschaft und ein perfektes Verständnis für die Marktnische und schaffen so die perfekte Lösung. Richtig? Nun, nicht wirklich.
Interne Usability-Tests und Erfahrungen sind anfällig für irreführende Ergebnisse, da die Dinge durch dieselbe Brille betrachtet werden, mit der sie auch entwickelt wurden. Manchmal gibt es eine starke Verzerrung der Stichprobe, die Sie daran hindert, Benutzerszenarien zu erkennen welche zu Störungen führen, obwohl Sie dies nicht erwartet haben.
Langjährige Akteure können von einer externen Perspektive sehr profitieren. Ein Beispiel ist ein etablierter amerikanischer digitaler Marktplatz für den An- und Verkauf von Autos, der den Kaufprozess rationalisieren sollte.
Die Entwickelnden haben mit Hilfe von Usability-Tests herausgefunden, dass sie jede Seite der Website so gestalten müssen, dass sie für sich steht und eigenständig einen Sinn ergibt. Die meisten Käufer suchen über Suchmaschinen nach einem neuen Auto. Sie gehen nicht direkt zu branchenführenden Websites, was bedeutet, dass jede Seite, die bei Google gefunden wurde, den notwendigen Kontext liefern und beim Kauf helfen muss.
Benutzerfreundlichkeit kann auch ein Wettbewerbsvorteil sein, wenn Sie ein neuer Akteur auf dem Markt sind. Eine Studie unter 182 deutschen kleinen und mittleren Unternehmen ergab, dass 60 % der Unternehmen mit der Funktionalität der von ihnen eingesetzten Software sehr zufrieden sind [3]. Die Benutzerfreundlichkeit wurde dagegen nur in gut 40 % der Fälle positiv bewertet. 7 von 10 befragten Unternehmen gaben an, dass Probleme mit der Benutzerfreundlichkeit ihre Produktivität beeinträchtigen. Es gibt also durchaus Luft nach oben für Produkte, die vor der Markteinführung auf ihre Benutzerfreundlichkeit getestet werden sollten.
Mythos 2: Usability-Tests sind teuer
Ein weiterer weit verbreiteter Mythos über Usability-Tests sind die Kosten, die damit assoziiert werden. Wenn Usability-Tests so teuer sind, warum das Produkt nicht einfach ohne sie auf den Markt bringen und die Nutzungsprobleme auf der Grundlage des Feedbacks von Nutzenden beheben? Glücklicherweise sind Usability-Tests nicht immer zwangsläufig aufwendig. Anders als bei vielen Umfragen müssen Sie nicht Tausende von Personen befragen, um eine möglichst genaue Antwort zu erhalten. Stattdessen müssen Sie die richtige Art von Menschen finden, die Ihre Nutzenden repräsentieren. Für verlässliche Hinweise können Sie sich auf die Gebrauchstauglichkeit ihres Produkts auch auf Benutzer-Personas und Personen beziehen, die Sie stellvertretend für die Zielgruppe zu einem Gespräch einladen.
Ein gutes Beispiel hierfür ist der E-Commerce. Wenn Sie ein digitales Schaufenster entwerfen, sollten Sie einige der folgenden Personen zu Benutzertests einladen:
- Technisch versierte Personen, die häufig online einkaufen
- Technisch versierte Personen, die zum ersten Mal online einkaufen
- Technisch nicht versierte Personen, die häufig online einkaufen
- Technisch nicht versierte Personen, die zum ersten Mal online einkaufen
- Personen mit Kaufzwang
Wenn Sie jeweils eine Person von jeder dieser Nutzendengruppe finden, insgesamt also mit 5 Personen* sprechen, können Sie bereits viele potenzielle Probleme erkennen. Wenn Sie beispielsweise beabsichtigen, sich über günstige Preise von Ihrer Konkurrenz abzuheben, können ein unklar gestalteter Rabattbereich oder ein verwirrendes Treueprogramm ein Problem darstellen. Wenn sich Ihr Geschäft an ältere Kunden wendet, die sich nicht unbedingt gut mit Computern auskennen, kann eine verwirrende Navigation dazu führen, dass sie den Kauf nicht abschließen (und Ihre Lösung später meiden). Wichtig ist daher, dass Sie Usability-Tests mit einzelnen potentiellen Kundinnen und Kunden durchführen und Probleme erkennen und beheben, bevor Sie Ihr Produkt auf den Markt bringen und versuchen, Ihre gesamte Zielgruppe zu überzeugen.
*Die scheinbar geringe Zahl der Teilnehmenden gilt für die meisten Branchen und Bereiche. Die Nielsen Norman Group gibt an, dass nur 5 Teilnehmende ausreichen, um 85 % der Usability-Probleme aufzudecken, und Sie können eine weitere Runde mit 5 weiteren Personen durchführen, um den Rest der Probleme zu erkennen [2].
Mythos 3: Usability-Tests sollten vor der Markteinführung stattfinden
Einige Unternehmen, die Usability-Tests durchführen, tun dies erst kurz vor der Produkteinführung. Sie betrachten es als eine letzte Hürde, die es zu nehmen gilt, bevor sie das Produkt ausliefern und sich zurückziehen können (oder in den Wartungsmodus wechseln). Wenn Sie allerdings zu diesem Zeitpunkt durch die Usability-Tests feststellen, dass das Produkt das Ziel verfehlt und/oder die Software an den falschen Stellen Kompromisse eingeht, müssen Sie damit rechnen, dass bestimmte Dinge von Grund auf geändert und neu entwickelt werden müssen. „Besser früh als nie“ lautet die Devise für drastische Änderungen und um deren Notwendigkeit zu erkennen, ist es erforderlich schon frühe die Usability zu testen.
Mythos 4: Sie sollten so viele Designs wie möglich testen
Warum sollte man testen, was funktioniert, wenn man die richtigen Leute hat, die sagen, was am besten funktioniert? Wenn Sie ihnen mehrere verschiedene Prototypen zeigen, wird die Zielgruppe sicher dabei helfen, den besten auszuwählen?
Die meisten UX-Experten und Expertinnen ziehen es vor, sich nicht mit Usability-Tests aufzuhalten. Wenn Sie mehrere Prototypen eines Produkts haben – für die Sie sich extra Zeit genommen haben, um sie zu entwickeln – erfordert dies entweder, dass Sie eine viel größere Anzahl von Testteilnehmenden befragen oder Sie dieselben Personen mehrere Entwürfe testen lassen. Die Personen, die Sie zu Usability-Tests einladen, sind allerdings nicht qualifiziert oder vielleicht sogar dafür ungeeignet, solche Entscheidungen zu fällen. Treffen Sie daher besser selbst eine Auswahl aus den Prototypen, prüfen Sie, ob dieser funktioniert, und verfeinern Sie dessen Design nach und nach.
Apropos Design: Der bereits erwähnte Teil 12 der ISO-Norm 9241 enthält auch Leitlinien für die Darstellung von Informationen. Es wird empfohlen, die 7 wichtigsten Grundsätze zu beachten:
- Klarheit: Informationen sollten schnell und präzise vermittelt werden.
- Unterscheidbarkeit: Es sollte möglich sein, Informationen genau zu unterscheiden.
- Prägnanz: Es sollten nur die Informationen enthalten sein, die zur Erfüllung der Aufgabe erforderlich sind.
- Konsistenz: Es sollten dieselben Informationen auf dieselbe Weise in der gesamten Anwendung präsentiert werden.
- Erkennbarkeit: Die Aufmerksamkeit des Nutzers sollte auf die gewünschten Informationen gelenkt werden.
- Lesbarkeit: Informationen sollten leicht zu lesen sein.
- Verständlichkeit: Die Bedeutung sollte leicht verständlich sein.
Mythos 5: Usability-Tests erfordern hochspezialisierte Software
Das Testen der Usability hat etwas mit „Testen“ zu tun, unterscheidet sich aber von der Qualitätssicherung, die den Code betrifft. In den meisten Fällen benötigen Sie für einen Usability-Test nur eine einfache Vorlage, um Informationen über die Teilnehmenden zu notieren und dann zu protokollieren, wie die Usability-Tests bei jedem einzelnen verlaufen sind.
Es wäre jedoch von Vorteil, wenn Sie dasselbe Testmanagement-Tool verwenden, das auch Ihre Qualititätssicherungsspezialisten einsetzen. Das Speichern aller Testergebnisse in einer einzigen Lösung trägt zur Kontinuität bei, insbesondere wenn Sie mehrere Produkte haben und/oder externe Personen an der Arbeit an Ihrer Software involviert sind. Zudem ist es auf diese Weise auch einfacher, Usability-Tests und Ergebnisse aus früheren Phasen des Produktlebenszyklus nachzuschlagen.
Abschließende Gedanken
Usability-Tests tragen dazu bei, dass Ihr Produkt genutzt und wahrgenommen wird. Sie validieren Ihre Konzepte und Produkte sowie deren Umsetzung. Gut durchgeführte und häufige Usability-Tests sorgen für einen erfolgreichen Start bei der Markteinführung Ihres Produkts und vermeiden anschließend eine frustrierende Überarbeitungsphase.
Literatur
[1] DIN EN ISO 9241-210 2020. Ergonomie der Mensch-System-Interaktion – Teil 210: Menschzentrierte Gestaltung interaktiver Systeme (ISO 9241-210:2019).
[2] Nielsen, J. and Landauer, J. 1993. A mathematical model of finding the usability problems. Proceedings of ACM INTERCHI’93 Conference. (1993), 206–213.
[3] Scheiber, F. et al. 2012. Software Usability in Small and Medium Sized Enterprises in Germany: An Empirical Study. A. Maedche et al., eds. Springer Berlin Heidelberg. 39–52.