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Grundlage für die Gestaltung eines nutzerfreundlichen, menschzentrierten Systems ist ein tiefgehendes Wissen über den Nutzungskontext, d. h. die Nutzenden, deren Aufgaben bzw. Arbeitsabläufe, Ressourcen und Umgebung. An dieses Wissen heranzukommen ist jedoch nicht immer leicht. Einige Methoden dafür und Erfahrungen mit der Problematik wurden im KI-Pilotprojekt mit synthavo gesammelt.

Das KI-Startup synthavo entwickelt ein System, das Mitarbeitenden von Unternehmen aus den Bereichen der Wartung, Instandhaltung und Haustechnik die tägliche Arbeit erleichtern soll. Das System soll verschlissene oder beschädigte Bauteile von Maschinen und Werkzeugen anhand von Fotos erkennen und durch Einbettung auf den Webseiten von Zulieferern den Nachbestellungsprozess vereinfachen. Wie diese Kernfunktionen sich genau in die Arbeitsabläufe der Nutzenden einfügen und was dies für die Gestaltung des Systems bedeutet, sollte im Rahmen eines KI-Pilotprojekts untersucht werden.

Das Pilotprojekt begann im Sommer 2022 mit einigen Workshops zur Vorstellung verschiedener Methoden. Es wurde ein Scenario-based-Design-Ansatz (nach Rosson & Carroll, 2003) geplant. Szenarien sind Beschreibungen in Geschichtenform, die Probleme bzw. Lösungen anschaulich und konkret anhand von realistischen Situationen darstellen. Auch fiktive Charaktere, oft auf Basis von Personae, werden als Akteure darin eingebaut.

Der erste Typ von Szenarien sind die sogenannten Problemszenarien. Diese beschreiben die Ausgangssituation und die aktuellen Probleme bei der Arbeit, in diesem Fall im Bereich der Wartung, Instandhaltung und Haustechnik. Die ersten Entwürfe der Problemszenarien entstanden in einem gemeinsamen Workshop mit synthavo und wurden anschließend vom Unternehmen weiter ausgearbeitet.

Der folgende kurze Ausschnitt aus dem Problemszenario von synthavo erzählt etwa, wie der fiktive, beispielhafte Instandhalter Heinz einen Störfall untersucht, auf den er zuvor vom Maschinenbediener Bernd hingewiesen wurde:

„Heinz kommt bei der Maschinenhalle an und lässt sich von Bernd die Situation genauer beschreiben und zeigen. Auf Basis der Problembeschreibung hat Heinz schon eine grobe Vermutung, dass es an einem abgenutzten Fräskopf liegen könnte. Der Verdacht bestätigt sich bei genauerer Untersuchung. Nun muss Heinz noch genau herausfinden, um welchen Typ von Fräskopf es sich handelt.“

Ein solches Problemszenario (in der Originalfassung länger und ausführlicher) hilft, Probleme anschaulich aus Sicht der Nutzenden zu dokumentieren und im Gesamtkontext zu betrachten. Der nächste Schritt ist es anschließend, sogenannte Aktivitätsszenarien zu entwerfen. Sie beschrieben mögliche zukünftige Lösungen für diese Probleme ebenfalls in Form von Geschichten. Dies hat gegenüber der sofortigen (grafischen) Ausarbeitung u. a. den Vorteil, dass Texte mit geringem Aufwand erstellt und bei Bedarf auch wieder abgeändert werden zu können. Das ermöglicht wiederum das schnelle Ausprobieren, Vergleichen und Anpassen vieler verschiedener Lösungen – anstelle der frühen Fixierung auf eine bereits weiter ausgearbeitete, aber womöglich unpassende Lösung.

Beim Aktivitätsszenario wird bewusst noch auf die detaillierte Beschreibung von Informationsdesign und Interaktionsdesign eines Systems verzichtet, um die Funktionen eines Systems und deren Verwendung selbst in den Fokus zu rücken, wie nachfolgend in einem Ausschnitt aus dem Aktivitätsszenario von synthavo. Darin wird die fiktive Firma Hasselkop erwähnt, die als beispielhafter Zulieferer fungiert und das System von synthavo bereits in ihrem Shop integriert hat.

„Heinz lädt sich die Hasselkop-App auf sein Smartphone und scannt das Werkzeug mit der visuellen Bauteilsuche. Anschließend werden ihm weitere Fragen zum Prozess und dem Werkzeug gestellt, die er selbst beantworten kann. So dann bekommt er das passende Werkzeug angezeigt. Er kann anschließend das Werkzeug direkt in der App bestellen.“

Wichtig ist jedoch für das Scenario-based-Design, dass das Problemszenario tatsächlich der Realität entspricht und das daraus entwickelte Aktivitätsszenario mit seiner Vision der zukünftigen Nutzung eines Systems auch von den realen Nutzenden akzeptiert und gewünscht wird. Ein Abgleich der entworfenen Szenarien mit der Realität ist also notwendig.

Dazu wurde im Pilotprojekt mit synthavo eine User-Research-Studie geplant. In dieser Studie sollten mehrere Fokusgruppen durchgeführt werden. Fokusgruppen sind moderierte Gruppendiskussionen, die zu verschiedenen Zwecken eingesetzt werden können – in diesem Fall war das Ziel die Prüfung der Problem- und Aktivitätszenarien. Dazu wurde gemeinsam ein Leitfaden erstellt und im September 2022 die Rekrutierung von Teilnehmenden gestartet. Zielgruppe waren Mitarbeitende aus den Bereichen der Instandhaltung und des Facility Managements.

Das Finden von Teilnehmenden stellte sich jedoch als großes Problem heraus – trotz Incentive und Bewerbung über das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Usability wurden nicht genug Teilnehmende für die Studie gefunden und die Durchführung wurde verschoben. Die Erkenntnis daraus: Trotz ausführlicher Planung und Vorbereitung kann eine User-Research-Studie einfach aufgrund mangelnden Zugriffs auf die Zielgruppe scheitern. Die Schwierigkeit der Rekrutierung der Nutzenden sollte nicht unterschätzt werden. Sehr wertvoll sind daher bereits bestehende Kontakte zur Zielgruppe, sei es durch die enge Zusammenarbeit mit (potenziellen) Kundenunternehmen oder Vernetzungsaktivitäten. Ansonsten gilt: Lieber etwas mehr Zeit für die Rekrutierung einplanen.

In diesem Fall hat synthavo aber nicht aufgegeben, sondern vielmehr ihre Bemühungen für gute Gestaltung und User Research durch Einstellung eines neuen Mitarbeiters im Frühjahr 2023 sogar verstärkt. Und trotz der erfolglosen Rekrutierung im Herbst ist das Startup nun mit dem Scenario-based-Design als Methodik und der Planung von User-Research-Studien vertraut. Das KI-Pilotprojekt wurde damit abgeschlossen – wir wünschen dem Startup weiterhin viel Erfolg und hoffen, bald wieder von ihnen zu hören!


28.04.23

Kontakt

Manuel Kulzer

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