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Der Trend zu hybriden und Online-Lernumgebungen in der Hochschulausbildung wurde durch die COVID-19-Pandemie stark beschleunigt und wird sich vorrausichtlich weiterhin fortsetzen. Wie kann speziell „Kreativität“ online gelehrt werden, von der gesagt wird, dass sie stark von direktem Kontakt mit anderen abhängt? Eine Antwort liefert das EU-geförderte TICON Projekt.

Die durch die COVID-19-Pandemie verursachte globale Krise hat den Trend zu hybriden und Online-Lernumgebungen in der Ausbildung an Hochschulen stark beschleunigt [1] und wird sich vorrausichtlich weiterhin fortsetzen [2]. Vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen wie Gesundheit, Nachhaltigkeit oder verantwortungsvolle Produktion, die visionäre Problemlösungskompetenz erfordert, ist Kreativität weithin als eine wesentliche Fähigkeit im Ingenieurwesen anerkannt [3, 4]. Allerdings haben Hochschullehrer Schwierigkeiten, Kreativitätstechniken im Unterricht anzuwenden [5]. Die Beobachtungen im Rahmen des europäischen ERASMUS+-Projekts TICON (Teaching creativity online for HE Engineering Teachers) mit Projektpartnern aus der Türkei, Irland, Deutschland, Dänemark und Spanien ab März 2021 zeigen, dass sich diese Herausforderung in einer Online-Umgebung noch verschärft. Diese Beobachtungen werden durch mehrere Studien untermauert (z. B. [6]).

Ein möglicher Grund dafür könnte sein, dass Kreativität hauptsächlich in der direkten Interaktion mit anderen entsteht. Dies erfordert eine Lehrumgebung, in der man von Angesicht zu Angesicht phronetische Erfahrungen machen kann [7, 8]. Darüber hinaus nehmen die Angst und das Unbehagen der Studenten in Online-Umgebungen tendenziell zu, was ihre aktive Beteiligung an kreativen Aufgaben, die das Erkunden von Ideen jenseits konventioneller Denkpfade erfordern, behindert [9].

Daher war das Hauptziel des TICON-Projekts, die Barrieren zu identifizieren und zu beseitigen, die in der Hochschulbildung im Bereich der Ingenieurwissenschaften bestehen, wenn es darum geht, Kreativität online zu unterrichten. Zudem war es Ziel, die digitalen Lehrfähigkeiten der Dozenten zu verbessern und sie mit geeigneten Online-Tools, pädagogischem Wissen sowie technischen und praktischen Fähigkeiten auszustatten, die für eine effektive Vermittlung von Kreativität in Online- und hybriden Lernumgebungen erforderlich sind. Dies wird durch die TICON E-Learning-Plattform erreicht, die einen zielgerichteten Lehrplan und eine Reihe von Lehrmaterialien für Lehrkräfte der Ingenieurwissenschaften bereitstellt. Die Gestaltungsmethodik der Lernplattform folgte einem explorativen, qualitativen [10], iterativen und nutzerzentrierten Designansatz [11].

Curriculum Design
Für die Gestaltung des Curriculums wurden zunächst umfassende Erlebnisinterviews [12] mit 32 MINT-Dozenten (jeweils acht aus der Türkei, Irland, Deutschland und Dänemark) durchgeführt, um Einblicke in die Herausforderungen, Best-Practises und den Weiterbildungsbedarf in der Online-Lehre zu gewinnen. Die Befragten wurden ermutigt, über sowohl positive und negative Erfahrungen beim Einsatz von Kreativitätsmethoden und -techniken in der Präsenz- und in der Online-Lehre zu reflektieren.

Anhand der Ergebnisse wurde einen Lehrplanentwurf als erste Designlösung [13] entwickelt. Zur Bewertung und zum Sammeln zusätzlicher Erkenntnisse wurden dieser Prototyp und die Interviewergebnisse weiteren 60 Dozenten (15 aus jedem Land) in Fokusgruppen vorgestellt. Auf dieser Grundlage wurde die Struktur des Curriculums in einem fallübergreifenden Vergleich aller Ergebnisse in einer Gruppeninterpretationssitzung der Projektpartner definiert.

Die TICON E-Learning Plattform
Für die Gestaltung der TICON E-Learning-Plattform haben wir zunächst die Lehrplanstruktur und die Ergebnisse der Bedarfsanalyse zusammengenommen und als Grundlage eine Lernreise für die Fortbildung von Hochschullehrern definiert. Daraus resultiert die endgültige Version der TICON E-Learning Plattform: https://www.creativityteaching.eu.

Diese ist in vier Sprachen verfügbar: Englisch, Türkisch, Dänisch und Deutsch. Neben Hintergrundinformationen über das Konsortium, Neuigkeiten und Veröffentlichungen sowie der Verwaltung der Konten existieren vier Hauptbereiche: Homepage, Lernmodule, Kreativitätsmethoden und das Forum.

Auf der Startseite der Plattform wird die TICON-Plattform in Textform und mit einem kurzen Video vorgestellt, das den Hintergrund, Nutzen und Zielpublikum von TICON. Im Bereich „Lerninhalte“ können Dozenten verschiedene Lektionen finden und nutzen, die ihnen dabei helfen, Kreativität in ihren Online-Unterricht einzubringen. Die Inhalte sind aus didaktischen Gründen in weitere vier Module unterteilt. Die Lektion "Verständnis von Kreativität" enthält Videolektionen zu folgenden Themen: „Konzept der Kreativität kennen“, „Wie wichtig die Fähigkeit ist, Kreativität online zu vermitteln“, „Wie hängt Kreativität und Ingenieurwesen zusammen“, „Die Phasen kreativer Prozesse“ und schließlich die „Vorteile und Herausforderungen des Online-Unterrichts von Kreativität“. Die Lektion "Wie organisiert man eine Sitzung" enthält Fragebögen zum Selbststudium, wie eine Einheit des Kreativitätsunterricht durchführt werden kann. Die Themen umfassen Vorbereitung, Gruppen- und Teamarbeit und Moderation. Die Lektion "Verwaltung des Online-Kreativitätsunterrichts" umfasst Lerndokumente, die über Do's und Don'ts informieren sowie darüber, wie Online- und Offline-Umgebungen für den Einsatz von Kreativitätsmethoden verbunden werden können. Das letzte Modul "Testimonials" enthält Interviewvideos von insgesamt 70 Minuten mit unserem TICON-Expertengremium zu Themen wie den Vorteilen des Online-Kreativitätsunterrichts im Vergleich zum Unterricht im Klassenzimmer, Situationen und Fälle, in denen Online von Vorteil ist, die größten Herausforderungen beim Online-Kreativitätsunterricht, ihre bevorzugten Kreativitätsmethoden und vieles mehr.

Der Bereich „Kreativitätsmethoden“ besteht aus aktuell 55 Methoden, die bei der Online-Vermittlung und Moderation helfen sollen. Sie sind nach unterschiedlichen Aspekten wie den Phasen eines generischen Kreativitätsprozesses, Gruppengröße, Dauer und weiteren Merkmalen klassifiziert. Diese Metadaten ermöglichen es, entsprechende Filter anzuwenden oder eine Volltextsuche durchzuführen. Die (gefilterten/gesuchten) Methoden werden in Kacheln mit einer kurzen Beschreibung und einem Symbol für die Prozessphase visualisiert. Dies gibt einen schnellen Überblick über die Methoden, ohne dass die Details gelesen werden müssen. Alle Methoden werden zudem detailliert beschrieben, welchem Zweck sie dienen, wie man sie vorbereitet und in einem Online-Kontext umsetzt. Sie enthalten weiterhin Best-Practice-Beispiele und benötigte Online-Tools. Hintergrundinformationen und Referenzen runden die Beschreibungen ab. Eine Webanwendung zur Sitzungsplanung unterstützt die Vorbereitung und das Zeitmanagement von Kreativsitzungen.

Das Forum "Wissensaustausch" ermöglicht die Diskussion von Erfahrungen und den Austausch mit der Dozenten-Community. Es können auch neue Methoden und Ansätze für die Veröffentlichung auf der Plattform vorgeschlagen werden.

Evaluation
Die TICON E-Learning-Plattform wurde von Hochschullehrern und ihren Studenten umfassend evaluiert. Die oben beschriebene Version ist das Ergebnis der Verfeinerung der Plattform unter Berücksichtigung von Rückmeldungen aus drei Evaluierungsphasen.

Zunächst wurde eine dreitägige Lern-, Lehr- und Ausbildungsaktivität (LTTA) mit acht Hochschullehrern (zwei aus jedem Partnerland) von außerhalb des Konsortiums durchgeführt. In der LTTA formulierten die Teilnehmer eine individuelle und konkrete Herausforderung für die Online-Lehre und nutzten die E-Learning-Plattform, um Lösungen für ihre Herausforderung zu finden. Die LTTA schloss mit einem qualitativen Feedback-Workshop ab.

In einem nächsten Schritt wurden 60 Hochschullehrer (15 aus jedem Land) rekrutiert, um das Training auf der E-Learning-Plattform aufgabenorientiert zu durchlaufen und deren Funktionalität ähnlich einem unmoderierten Usability-Test zu erkunden. Mit Hilfe eines Online-Fragebogens wurde Feedback zur Benutzerfreundlichkeit der Plattform sowie zur Nützlichkeit und Relevanz der Inhalte eingeholt.

In einem letzten Schritt wurde eine Gruppe von 20 Lehrkräften aus dem MINT-Bereich (fünf aus jedem Land) mobilisiert, um ihren Studenten (insgesamt ~320) eine Kreativitätstechnik entweder hybrid oder online zu vermitteln. Ziel war es, die wahrgenommenen Auswirkungen sowohl auf die Lehrkräfte als auch auf die Studierenden zu bewerten. Mit Hilfe eines Online-Fragebogens wurde auch dieses Feedback gesammelt.

Die Antworten und Rückmeldungen nach dem LTTA spiegeln eine positive Erfahrung und Einstellung gegenüber der Nutzung der bereitgestellten Materialien wider. Die Teilnehmer berichteten, dass sie in der Lage waren, neue Ansätze und Lösungen für ihre Herausforderungen zu entwickeln, die sie nun anwenden werden. Die Bewertung der Qualität, des Nutzens und der Auswirkungen der Plattform und der Schulungsinhalte unterstützt diese Schlussfolgerung. Die Teilnehmer, die die Kreativitätsmethoden tatsächlich angewendet haben, äußerten sich ebenfalls positiv. Die Weiterempfehlungsrate lag bei 93 %. Die Tests mit den Studenten gaben uns ebenfalls ein sehr positives Feedback und zeigten deutlich, dass die Lehrer sehr zufriedenstellende Ergebnisse erzielten, wie z. B. eine Steigerung der Motivation sowohl der Studenten (77 %) als auch der Dozenten (72 %). 91 % der Dozenten berichteten von einer Steigerung des Selbstvertrauens.

Zusammenfassung und Ausblick
Vor dem Hintergrund der Relevanz von Kreativität in MINT-Studiengängen und der post-pandemischen Online- und Hybrid-Lehre in Hochschuleinrichtungen wurde in diesem Blogbeitrag eine neuartiges E-Learning-Programm vorgestellt, einschließlich seiner Elemente und dem damit verbundenen Gestaltungs- und Bewertungsprozess. Obwohl sich die Entwicklung des E-Learning speziell auf den MINT-Bereich im Hochschulkontext fokussierte, lassen sich die meisten Themen, wie z. B. Kreativitätstechniken, Gruppenarbeiten, Vertrauensbildung, Motivation und Engagement, auf eine Vielzahl von Anwendungsfällen bei der Moderation von Kreativsitzungen übertragen. So sind gerade UX-Professionals häufig mit der Situation konfrontiert, interdisziplinäre Online- und Hybridgruppensitzungen zu moderieren und in diesen kreative Lösungen zu entwickeln. Die TICON Plattform kann UX-Professionals dabei helfen, solche Situationen mit den bereitgestellten Materialien und Techniken hervorragend zu meistern.

Literaturverzeichnis
[1] C. Li und F. Lalani, „The COVID-19 pandemic has changed education forever. This is how.,“ 2020. [Online]. Available: www.weforum.org/agenda/2020/04/coronavirus-education-global-covid19-online-digital-learning/. [Zugriff am 01 2022].

[2] A. Zancajo, A. Verger und P. Bolea, „Digitalization and beyond: the effects of Covid-19 on post-pandemic educational policy and delivery in Europe,“ Policy and Society, pp. 1-18, 2022.

[3] European Commision, Digital Education Action Plan, 2020.

[4] D. H. Cropley, „Promoting creativity and innovation in engineering education,“ Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, Bd. 9, Nr. 2, pp. 161-171, 2015.

[5] R. C. Anderson, J. Katz-Buonincontro, T. Bousselot, D. Mattson, N. Beard, J. Land und M. Livie, How am I a creative teacher? Beliefs, values, and affect for integrating creativity in the classroom, Bd. 110, 2022, pp. 103-583.

[6] M. Barak and M. Usher, "The innovation profile of nanotechnology team projects of face-to-face and online learners.," Computers & Education, 137, pp. 1-11, 2019.

[7] I. Nonaka und R. Toyama, „Strategic management as distributed practical wisdom (phronesis),“ Industrial and Corporate Change, 16(3), p. 371–394, 2007.

[8] A. Kaiser und B. Fordinal, „Creating a ba for generating self‐transcending knowledge,“ Journal of Knowledge Management, Bd. 14, Nr. 6, pp. 928-942, 2010.

[9] B. Giridharan, „Engaging with Studention Persts and Faculties Online in the Era of the Corona Virus Pandemic: A Higher Educapective,“ Journal of Humanities and Social Sciences Research, Bd. 2, pp. 103-110, 2020.

[10] U. Flick, Introduction to Qualitative Research (5th ed.), London: Sage, 2014.

[11] ISO 9421-210, „ISO 9421-210:2019,“ 2019. [Online]. Available: www.iso.org/standard/77520.html.

[12] K. Zeiner, M. Laib, K. Schippert und M. Burmester, „Das Erlebnisinterview – Methode zum Verständnis positiver Erlebnisse,“ in Mensch und Computer 2016 - Usability Professionals, 2016.

[13] C. Kunz, F. Sarsar, Ö. Andic Cakir, H. E. Ulus, P. Wolf, M. H. Frederiksen, K. Cormican und M. van Leeuwen, „User Centered Design of a Curriculum for Teaching Creativity Online,“ in ICT in Life Conference proceedings: Contemporary society meeting ICT challenges and issues , 2022.


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