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Dieser Gastartikel von Custom Interactions widmet sich dem wichtigen Thema Barrierefreiheit und Usability. In dem Interview mit Daniel Ziegler von Custom Interactions erfahrt Ihr, worauf es beim User Research für Barrierefreiheit ankommt, wie sich Barrierefreiheit umsetzen lässt und welche Chancen sich durch barrierefrei gestaltete Produkte ergeben.

Herzlich willkommen zu diesem Beitrag, der sich einem äußerst wichtigen Thema in der Welt der Produktentwicklung widmet: Barrierefreiheit und Usability.

In dem Interview haben wir von Custom Interactions mit einem unserer Experten für Barrierefreiheit, Daniel Ziegler, gesprochen.

Sie lernen:

  • Was es beim User Research für Barrierefreiheit zu beachten gibt
  • Wie Sie als Produktentwickler anfangen, Barrierefreiheit umzusetzen
  • Welche Chancen sich durch barrierefrei gestaltete Produkte für Sie ergeben

Viel Vergnügen!

 

Custom Interactions: Wir würden mit einer kurzen Vorstellung anfangen. Das heißt, du darfst dich gerne einmal vorstellen.

 

Daniel: Ja, vielen Dank. Ich bin Daniel. Ich bin Senior UX Konzepter und Projektleiter hier bei Custom Interactions. Ich beschäftige mich seit über zehn Jahren jetzt mit dem Thema Mensch-Technik. Da ich von Haus aus Informatiker bin, habe ich mich in den letzten zehn Jahren immer mehr Richtung Mensch orientiert in der Mensch-Technik Interaktion. Ich habe mich in dem Bereich vor allem mit Themen der Usability, User Experience beschäftigt und eben auch als Spezialecke vielleicht mit dem Thema Barrierefreiheit. In dem Thema durfte ich auch eine Zeit lang im Ausschuss für barrierefreie Informationstechnik des Bundes mitarbeiten. Und ja, so bin ich hierhergekommen.

 

Custom Interactions: Ganz allgemein, wie hängen Usability und Barrierefreiheit deiner Meinung nach zusammen?

 

Daniel: Also wie gesagt, bei der Usability geht es ja darum: Wenn wir uns auch die Definition von Usability angucken, dann geht es darum, bestimmte Nutzergruppen zu betrachten, eben bestimmte Nutzergruppen, die unser Produkt nutzen, für bestimmte Zwecke, in einem bestimmten Umfeld. Und bei der Barrierefreiheit beschäftigen wir uns mit einer viel breiteren Sichtweise, als wir das klassischerweise bei der Usability machen. Wo wir eben stark da drauf gucken, wer sind denn jetzt genau unsere Nutzer? Wer sind die Hauptnutzer? Und bei der Barrierefreiheit geht es eben darum zu sagen, na ja, es gibt aber eben Nutzer mit einem sehr breiten Spektrum an Eigenschaften, Anforderungen und Bedürfnissen. Und wir wollen die möglichst breit abdecken und einbinden.

 

Custom Interactions: Wie können gute Usability-Praktiken dazu beitragen, die Barrierefreiheit zu verbessern?

 

Daniel: Na ja, also es geht zunächst mal da drum, dass wir einfach in der Usability oder in unseren Usability-Praktiken, die wir gewohnt sind, eben genau dieses Bewusstsein integrieren, dass wir uns nicht nur fokussieren sollten auf die Nutzerinnen und Nutzer, die vermeintlich unsere Hauptnutzer sind, unsere Hauptzielgruppe. Sondern, dass es eben da drum geht, auch auf Menschen zu gucken, die wir typischerweise nicht im Fokus haben. Beispielsweise, um nur die Plakativsten zu nennen, Nutzer, die eben blind sind, Nutzer, die starke Seheinschränkungen haben, Nutzer, die motorische Einschränkungen haben und deswegen klassische Interaktionsmittel wie Maus und Tastatur nicht in gewohnter Weise verwenden können. Und natürlich je nachdem, um welche Produkte es geht, beispielsweise auch Hörgeschädigte oder taube Menschen.

 

Custom Interactions: Und welche Herausforderungen siehst du ganz allgemein bei der Umsetzung von Barrierefreiheit in der Praxis?

 

Daniel: Es gibt einfach in weiten Teilen, wenn wir uns mit Menschen beschäftigen, wenig Wissen und wenig Erfahrungen mit dieser Breite an Eigenschaften, die ich gerade so ein bisschen angesprochen habe. Also es ist eben genau nicht so, dass wir nur sehr definierte Eigenschaften haben, über die wir in der Barrierefreiheit sprechen wie beispielsweise blinde Nutzer. Da kann sich jeder irgendwie was darunter vorstellen. Auch, wenn die Vorstellungen dann häufig von der Realität wieder abweichen. Das ist die zweite Herausforderung. Und die erste Herausforderung, die ich gerade angesprochen habe, ist genau dieser Punkt, dass die Vielfalt einfach so groß ist, dass da einfach ein Wissen und ja, eine gewisse Empathie, schwer aufzubauen ist. Und das einiges an Erfahrungen braucht, damit man eben den Hintergrund einschätzen kann und eben dann auch Lösungen finden kann.

 

Custom Interactions: Jetzt wollen wir uns ja so ein bisschen von der Usability-Seite der Barrierefreiheit annähern. Und ein entscheidender Teil von Usability ist ja auch immer User Testing. Das heißt, ich würde gerne von dir wissen, warum ist User Testing besonders wichtig, wenn es um die Gewährleistung von Barrierefreiheit geht?

Daniel: Die eine Sache ist natürlich, irgendwelchen Richtlinien zu folgen und die umzusetzen. Die andere Sache ist aber immer dann wieder die Frage, wie kommt das Produkt bei den Nutzerinnen und Nutzern tatsächlich an? Und das ist natürlich insbesondere bei so einer Zielgruppe, über die wir hier sprechen, Barrierefreiheit, ein wichtiges Thema, weil Barrierefreiheit halt eine versteckte Qualität ist. Und für Menschen, die nicht betroffen sind, schwer wahrzunehmen ist. Also, wenn wir bei der Usability sind, dann haben wir immer irgendwie noch auf der Seite der Gestaltenden so ein gewisses Gefühl dafür, was wohl gut funktionieren wird und was nicht. Weil sie im Zweifelsfall selbst auch Betroffene sind. Und bei der Barrierefreiheit haben wir eben über weite Teile die Situation, dass viele Gestalter eben selbst nicht betroffen sind und eben selbst nicht blind sind, zum Beispiel, oder hörgeschädigt oder motorische Einschränkungen haben, und somit die Lebensrealität, die Interaktionsrealität, wenn wir so wollen, gar nicht so einschätzen können. Und damit ist es natürlich umso wichtiger, diese echte Wahrnehmung in einem Usability oder UX-Test tatsächlich einzuholen und abzuschätzen. Damit wir nicht nur ein Produkt haben, das nachher auf dem Papier bedienbar ist für einen Nutzer mit Einschränkungen, sondern im Idealfall eine inklusive UX bietet. Also sprich, die gleiche Qualität an Nutzung für alle Nutzerinnen und Nutzer, unabhängig von ihren spezifischen Eigenschaften bietet.

 

Custom Interactions: Jetzt haben wir die Richtlinien, Standards schon kurz angesprochen. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz gerät ja immer stärker in den Fokus aktuell. Wie kann man jetzt schon als Unternehmen, das betroffen ist, möglichst gut vorbereitet sein?

 

Daniel: Also wir befinden uns gerade im letzten Jahr, in dem die Regeln des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz nicht geltend sind, in dem sie nicht umgesetzt werden müssen. Die Deadline ist da der 28. Juni 2025. Und wenn man jetzt mal als Unternehmen drüber nachdenkt, wie so der typische Lifecycle in den eigenen Produkten ist und wie lange man wohl braucht, um bestimmte Teile davon schon mit einem Feature umzubauen oder einen Design Change zu machen, auf klassische Art und Weise, ohne Barrierefreiheit, dann, denke ich, merkt man, dass es nicht „schon“ ist. Sondern, dass es Zeit wird, sich damit schnellstmöglich zu beschäftigen. Das heißt, der erste Tipp an der Stelle ist Anfangen. Quasi fast schon egal wo, Hauptsache sich mal mit dem Thema beschäftigen, also mit Barrierefreiheit. Und insbesondere natürlich rausfinden, inwiefern das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz die eigenen Produkte und Dienstleistungen denn betrifft. Denn es gibt da ganz spezifische Vorgaben und Einschränkungen, wer davon betroffen ist. Und das ist der erste Schritt, den Unternehmen auf jeden Fall gehen sollten, sich anzuschauen, inwiefern und in welchem Umfang ihre Produkte und Dienstleistungen denn von dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz betroffen sind.

 

Custom Interactions: Gibt es denn das richtige Mindset, mit dem man als betroffenes Unternehmen an die Umsetzung der Usability-Anforderungen herangehen kann?

 

Daniel: Ja, ich würde sagen, schon. Ich habe es vorhin gesagt, Barrierefreiheit wurde ja lange Zeit und wird auch heute noch viel als Pflicht wahrgenommen. Auch mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz kann man wieder leicht in die Situation geraten, als Unternehmen zu sagen: "Oh, jetzt muss ich das auch noch machen." Ich bin der Meinung, wenn man in der Haltung bleibt, dann wird man Aufwand reinstecken müssen, der sich aber im Zweifelsfall nicht auszahlt, nachher, weil man nur das Mindeste versucht zu tun. Stattdessen wäre meine Empfehlung an Unternehmen, die vom Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, wie du gesagt hast, betroffen sind, das als Chance zu begreifen, sich wirklich auch mal mit dem Thema zu beschäftigen und damit beispielsweise ihre Kundengruppen auszubauen. Indem eben explizit Nutzerinnen und Nutzer mit Einschränkungen in den Fokus geraten oder ernstgenommen werden. Und als Nebeneffekt ein Stück weit haben wir auch die Situation, dass wir bei Barrierefreiheit immer an Menschen mit Einschränkungen, mit klassischen Behinderungen, denken. Das ist aber nur der eine Part, also Leute, die das quasi statisch haben, durchgängig. Darüber hinaus gibt es auch noch Nutzergruppen, die die gleichen Anforderungen haben, aufgrund beispielsweise von einer kurzzeitigen Krankheit oder Einschränkung. Denken wir zum Beispiel an einen eingegipsten Arm. Auch dann kann ich den Arm nicht benutzen, weil er einfach in dem Fall nicht bewegungsfähig ist. Und dann habe ich eben auch den Benefit von barrierefreier IT. Und diese Nutzer gewinne ich dann eben zusätzlich auch oder für die biete ich eben eine zusätzlich bessere User Experience, auch während der Zeiten beispielsweise.

 

Custom Interactions: Du hast jetzt schon die inklusivere Produktgestaltung und die breiteren Nutzergruppen genannt. Gibt es denn noch weitere Chancen für Unternehmen, die sich bei der Umsetzung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes ergeben, für das eigene Produkt?

 

Daniel: Also ich bin der Meinung, dass tatsächlich vorrangig dieser Punkt, ich kann mehr Nutzergruppen in den Fokus nehmen, oder ich nehme mehr Nutzergruppen, ein breiteres an Eigenschaften mit in den Fokus. Und dadurch habe ich eben das Potenzial erstens, Nutzergruppen zusätzlich zu gewinnen, weil sich das dann auch natürlich rumspricht. Und ich habe auch die Erwartung, dass über die Pflicht zur Barrierefreiheit wir uns auch in dem Bereich ein bisschen weiterentwickeln. So, wie es auch im Usability, UX-Bereich war. Wenn sich mehr Leute und Unternehmen damit beschäftigen, dann steigt das Level an Anforderungen. Und ich brauche eine bessere barrierefreie UX um mich auch am Markt differenzieren zu können. Und da würde ich sagen, das ist eine Chance, da früh dran zu sein. Indem ich eben als Unternehmen genau dieses Mindset, das ich vorhin angesprochen habe, ja in den Fokus nehme und sage, was kann ich denn für mich rausziehen? Wie kann ich mein Produkt besser machen für eine breite Nutzerschaft? Indem ich mich eben mit breiteren Eigenschaften meiner Nutzerinnen und Nutzer auch beschäftige.

 

Custom Interactions: Vielen Dank für deine Zeit und das Interview!

 

Fazit

Wer sich durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz mit der Barrierefreiheit des eigenen Produkts auseinandersetzen muss, sollte dies aufgrund der nahenden Deadline schnellstmöglich tun. Der erste Schritt ist dabei, herauszufinden, wie das eigene Produkt vom Gesetz betroffen ist und was getan werden muss.

Wer über die Mindestanforderungen hinaus eine gute Usability und UX für eine inklusive Nutzergruppe erreicht, kann sich neben einer breiteren Nutzergruppe vor allem einen Vorreiterstatus für das eigene Produkt sichern.

Sie wollen sich weiter über das Thema „Barrierefreiheit und Usability“ informieren? Dann empfehlen wir Ihnen unseren Artikel „Diese deutschen Gesetze zur Barrierefreiheit sollten Sie als Produkthersteller kennen“.


06.03.24

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