Dieser Beitrag präsentiert ein Interview mit Thorsten Wilhelm („T“) über die Rolle von Naturverbundenheit und Nachhaltigkeit im Unternehmenskontext. Das Interview führte Anne Elisabeth Krüger vom Fraunhofer IAO, die im Folgenden als „A“ abgekürzt wird.
________________
A: Was bedeutet das Thema Wald für dich? Bitte suche einen Gegenstand, den du damit assoziierst (Übung aus dem Warm UP Set).
Thorsten nimmt ein Stück Birkenrinde, was über seinem Schreibtisch im Regal liegt.
T: Die Bedeutung des Themas Wald für mich lässt sich gut an diesem Stück Birkenrinde verdeutlichen, das wie ein Kanu aussieht. Ich habe es gemeinsam mit meinen Kindern während der Corona-Zeit gefunden, als wir oft zusammen im Wald waren. Diese Momente haben mir große Freude bereitet. Meine Kinder sind inzwischen 10 und 12 Jahre alt, und sie haben eine ganz andere Einstellung zum Wald als ich. Bisher haben sie den Wald oft mit Unsicherheit verbunden.
Seitdem hat sich ihre Einstellung zum Wald deutlich geändert. Sie haben zwar immer noch Angst vor Wildschweinen, aber ich glaube, sie würden jetzt sogar mit mir im Wald zelten gehen. Das finde ich sehr schön und die Birkenrinde gucke ich mir auch immer wieder an.
Für mich ist der Wald nämlich ein Ort, um Ruhe und Ausgleich zum digitalen Alltag zu erleben. Er hilft mir, mich auf mich selbst zu fokussieren, Themen und Probleme zu durchdenken – das mache ich schon gerne. Wenn mich jemand z.B. nach einer Meinung zu einem wichtigen Thema fragt, sage ich ganz oft, dass ich meine Gedanken dazu in den Wald mitnehmen und spazieren gehen muss, bevor ich etwas dazu sagen kann.
Ab und zu setze ich mich auch gerne auf Hochsitze und schaue einfach durch die Gegend. Dabei kann ich gut entspannen und das ist eigentlich genau das, warum ich in den Wald gehe.
Ich benutze Waldbesuche aber auch, um einfach in Bewegung zu kommen, denn ich bin sehr oft im Homeoffice und nehme kaum noch den Weg mit dem Fahrrad zum Bahnhof, den ich früher immer hatte. Jetzt ist der Wald also ein Ort geworden, wo ich einen körperlichen Ausgleich zu meinem Arbeitsalltag am Schreibtisch habe, was total wichtig für meine Gesundheit und mein Wohlbefinden ist. Wenn ich dann spazieren gehe, schaue ich, dass ich gelegentlich mal schneller laufe oder auch gezielt im Wald joggen gehe.
________________
A: Wie bist du dazu gekommen, dich mit dem Thema Wald im Unternehmenskontext zu beschäftigen? Warum ist es wichtig?
T: Vor einigen Jahren hatte ich großartige MitarbeiterInnen, die bereit waren, mehr Verantwortung bei eresult zu übernehmen. So konnte ich die Geschäftsführung nach und nach abgeben. Seit 2021 bin ich weiterhin als Beirat und freier Berater für eresult tätig, gehöre jedoch nicht mehr zur Geschäftsführung.
Dadurch haben sich für mich viele neue Möglichkeiten ergeben. Unter anderem kann ich mich nun intensiver für den Mittelstand engagieren, mittelständische Unternehmen stärker vernetzen und ihre Interessen vertreten. In diesem Zusammenhang habe ich mich verstärkt mit den Themen Coworking, Workation und der positiven Wirkung der Natur auf Arbeitsprozesse beschäftigt. Ich habe begonnen, Gruppen-Workations zu organisieren – oft in naturnahen Umgebungen oder direkt im Wald – um die Kreativität und das Wohlbefinden der Teilnehmenden zu fördern. So bringe ich die UX-Branche nicht nur näher zusammen, sondern auch näher zur Natur.
________________
A: Wie passen für dich Wald und User Experience (UX) zusammen?
T: Für mich gehören der Wald und das Thema User Experience auf den ersten Blick überhaupt nicht zusammen, weil ich UX initial sehr stark mit digitalen Produkten und Services verbinde. Wenn ich in den Wald gehe, versuche ich z.B. auch immer, kein Smartphone mitzunehmen. Dafür habe ich mir extra ein altes Handy – also kein Smartphone – zugelegt. Ich schalte es nur ein, wenn ich wirklich in einer Notlage bin und jemanden anrufen muss. Ansonsten bleibt es aus, besonders wenn ich in den Wald gehe.
Durch die Gespräche mit dir und die Informationen über euer Projekt NaturKONTAKTE im Rahmen des MDZ Fokus Mensch hat sich meine Perspektive darauf gewandelt. Inzwischen verbinde ich damit die Idee, Wohlbefinden und Verhaltensänderungen in Richtung Nachhaltigkeit im digitalen Arbeitsalltag durch Walderlebnisse und Naturkontakte anzustoßen – was ich sehr spannend finde.
________________
A: Was macht ihr im Rahmen des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) zum Thema Wald?
T: Im Projekt „BVMW Zukunftswald“ veranstalten wir Waldspaziergänge und Picknicks, um Menschen in die Natur zu bringen und ihre Wertschätzung für den Wald zu fördern. Ziel ist es, sie zu positiven Naturerlebnissen zu führen, damit sie sich stärker für den Naturschutz engagieren.
Die Teilnehmer, maximal 50 Personen, erhalten einen Impulsvortrag von Unternehmen, die Nachhaltigkeit bereits erfolgreich auf ihrer Agenda haben, und wandern dann mit Förstern zu einer Pflanzfläche, wo sie einen Baum pflanzen. Dabei erfahren sie mehr über das Gebiet, ein Naturschutzgebiet am Schaalsee, und die nachhaltige Waldbewirtschaftung.
Das Event findet diesen Juni zum ersten Mal in Schleswig-Holstein statt und wird durch Spenden finanziert. Ein Teil der Einnahmen geht an Waldkindergärten. Teilnehmer, die eine Baum-Patenschaft übernehmen, erhalten eine Urkunde und können ihren Baum regelmäßig besuchen. Das Projekt bietet zudem zahlreiche Möglichkeiten zur medialen Vermarktung.
________________
A: Inwiefern kann das Erleben von Natur und die persönliche Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit das Verhalten von Führungskräften und deren Einfluss auf die Unternehmenskultur verändern?
T: Seit zwei Jahren nehme ich an Nachhaltigkeitsveranstaltungen teil und frage ManagerInnen oft nach der Nachhaltigkeitsreife ihres Unternehmens und ihrem persönlichen Verhalten. Während die Unternehmen hohe Reifegrade angeben, sind die persönlichen Antworten oft weniger nachhaltig. Diese ManagerInnen agieren nicht als Vorbilder, was sich negativ auf ihre MitarbeiterInnen auswirken kann.
Es braucht „Believe-Updates“, um nachhaltige Transformation glaubwürdig vorzuleben – ähnlich wie ein Vater, der vor seinen Kindern nicht über eine rote Ampel geht. Wenn ManagerInnen ihr Verhalten ändern und die Verbindung zur Natur erleben, könnte das ihre Haltung verändern.
Die Vorträge von den Unternehmen auf der BVMW-Veranstaltung vermitteln Wissen, aber ich lege auch Wert darauf, dass die Haltungsänderung der TeilnehmerInnen im Mittelpunkt steht. Obwohl ManagerInnen vielleicht nicht wegen des Spaziergangs an einer BVMW-Veranstaltung teilnehmen, glaube ich, dass die Erfahrung vor Ort einen bleibenden Eindruck hinterlassen und ihre Haltung positiv beeinflussen wird. Viele ManagerInnen sind durch ihre Prägung darauf fokussiert, immer weiter zu wachsen und setzen Themen wie Nachhaltigkeit und regenerative Energien oft nicht von sich aus auf die Agenda. Ihr politisches Wertegerüst unterscheidet sich häufig von den allgemeinen Präferenzen, weshalb sie oft gesetzlich zur nachhaltigen Handlung verpflichtet werden müssen. Trotzdem ist es sehr bereichernd und wirksam, mit diesen ManagerInnen zu arbeiten und ihre Haltung zu verändern. Es ist möglich, sie zu einer nachhaltigen Veränderung zu bewegen und so einen großen Beitrag zu leisten. Bei Menschen, die bereits ein starkes Umweltbewusstsein haben, ist der Effekt jedoch nicht mehr so stark.
________________
A: Gibt es darüber hinaus weitere Initiativen, die ihr im Rahmen des Projekts BVMW Zukunftswald geplant habt?
T: In dem Bereich, in dem ich tätig bin, möchten wir nun eine Projekt-Roadmap und einen Methodenbaukasten entwickeln. Der Verband ist bundesweit aktiv, aber sehr regional ausgerichtet. Daher ist die Idee, dass andere Regionen im Verband einen Baukasten und Leitfäden erhalten, um solche Projekte künftig ebenfalls umsetzen zu können. Momentan lernen wir dabei wirklich viel, zum Beispiel über verschiedene Methoden zum Baumpflanzen und den besten Zeitpunkt dafür. Ich dachte immer, man pflanzt im Frühjahr, aber die WaldbesitzerInnen und FörsterInnen sagen, dass es eigentlich im Herbst, am besten Anfang Winter, erfolgen sollte. Das möchten wir alles dokumentieren und auf andere Regionen übertragen.
________________
A: Was gibt es für Ansätze, das Thema Wald in den Arbeitsalltag mit einzubeziehen? Hast du konkrete Erfahrungen oder Ansätze, die du mit uns teilen kannst?
T: Ich habe das Glück, auf dem Dorf zu leben, direkt am Wald. In Städten ist es hingegen schwieriger, regelmäßig in die Natur zu gehen, obwohl es Parks gibt. Eine spannende Frage ist, wie man das in urbanen Gebieten besser integrieren kann. Für Team-Events organisieren wir oft Ausflüge in naturnahe Gegenden, um gemeinsam in der Natur zu arbeiten und das Teamgefüge zu stärken. Zum Beispiel haben wir Bauprojekte gemacht, bei denen Teams Floße bauen mussten. Dabei ging es weniger um die Natur, sondern um das gemeinsame Erleben und die Kommunikation. Wir haben Orte bewusst außerhalb der Stadt gewählt, um Ablenkungen zu vermeiden und das Teamgefühl zu fördern.
________________
A: Was würdest du dir in Bezug auf Wald, Natur und Digitalisierung wünschen?
T: Mein Wunsch ist, dass jeder in Deutschland leichter Zugang zur Natur hat und positive Erlebnisse im Wald haben kann. Es ist wichtig, dass der Wald als sicherer Ort wahrgenommen wird – besonders für die jüngere Generation, die mit digitalen Medien aufwächst. Heutzutage verbringen Kinder viel Zeit mit Smartphones, was früher in der Natur war. Das finde ich schade, da diese Zeit nicht zurückgewonnen werden kann. Ich glaube, der Wald sollte so bleiben, wie er ist, und weiterhin gepflegt werden. Wichtig ist, junge Menschen in den Wald zu bringen, ohne ihn zu verändern
Thorsten denkt kurz nach und ergänzt folgende Aussagen.
T: Während der Corona-Zeit war die Nachfrage nach Workations enorm – MitarbeiterInnen konnten dort arbeiten, wo sie neben dem Arbeitsalltag auch Erlebnisse genießen konnten, die an ihrem Wohnort nicht möglich waren. Dieser Wunsch hat viele Menschen in die Natur geführt.
Derzeit wird in der Presse intensiv darüber diskutiert, wie man MitarbeiterInnen wieder ins Büro zurückholen kann. Das erscheint mir jedoch unverständlich, denn mobiles Arbeiten hat viele positive Effekte für die Umwelt: weniger Pendelverkehr, weniger Geschäftsreisen und somit ein wesentlicher Beitrag zum Umweltschutz und zur Reduzierung von Emissionen.
Ich wünsche mir daher, dass Unternehmen mobiles und hybrides Arbeiten weiterentwickeln und fördern, anstatt ihre Mitarbeiter ohne triftigen Grund wieder ins Büro zurückzuholen.
________________
MAI Group / MAI GmbH
Partner & Freier Berater
Thorsten Wilhelm hat im Jahr 2000 die eresult GmbH mitgegründet und sie als Geschäftsführer bis 2022 geleitet. 2024 wurde die eresult GmbH von der MAI GmbH übernommen und in die MAI (Marketing Automation Intelligence) Group integriert. Er ist heute sowohl Partner der MAI Group als auch freier Berater (Vertrieb, Projektmanagement, Digital/UX Design).
Thorsten Wilhelm studierte Betriebswirtschaft an der Universität Göttingen. Vor der Gründung der eresult GmbH arbeitete er im wissenschaftlichen Dienst der Universität und baute ein Premium-UX/Usability-Lab auf.
Seit 1996 setzt er sich für researchbasiertes UX Design, User Research und UX Testing ein. Thorsten Wilhelm arbeitet zudem leidenschaftlich an der Entwicklung und Entstehung von Kreativ- und Zukunftsorten in ländlichen Regionen, fördert die Etablierung und Weiterentwicklung hybrider Arbeitsmodelle und vertritt die Interessen des deutschen Mittelstandes im BVMW - DER MITTELSTAND (Bundesverband mittelständische Wirtschaft e.V.).
In seiner Rolle aus Verbandsrepräsentant leitet Thorsten Wilhelm das Projekt "BVMW Zukunftswald Norddeutschland".
Weitere Informationen
Kontakt
Anne Krüger
- Fraunhofer IAO
- Fraunhofer-Institut Arbeitswirtschaft und Organisation IAO
- Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Usability
- Mittelstand-Digital Zentrum Fokus Mensch
- Nobelstraße 12
- 70569 Stuttgart