Die Schneider:innen als Berufsgruppe gibt es schon seit Jahrhunderten, denn passende Kleidung ist in vielen Situationen des Lebens wichtig, um gut mit allen Anforderungen umgehen zu können. Doch nicht nur bei unserer Kleidung sollte auf eine gute Passung geachtet werden, auch zwischen Nutzenden und Dienstleistungen bzw. Produkten kann diese von Bedeutung sein. Abseits des traditionellen Schneiderns von Kleidung, kann das Konzept des „Tailoring“ dabei unterstützen, auch in einem breiteren und digitalen Kontext für gute Passung zu sorgen [1].
Tailoring – von „to tailor“, also Schneidern, Zuschneiden oder Anpassen –bezieht sich auf die Gestaltung kontextrelevanter Werkzeuge, oder Aspekte dieser, anhand vorher festgelegter Kriterien. Es steht im Gegensatz zu „one-size-fits-all“-Prinzipien. Bei Tailoring handelt sich um eine Erweiterung der menschzentrierten Gestaltung, zu der sie hier mehr erfahren können. Durch die Implementierung von Tailoring sollen individuelle Umstände, Kapazitäten, Bedürfnisse und Präferenzen der Zielgruppen respektiert und deren Akzeptanz erhöht werden. Außerdem sollen sowohl Nutzungswahrscheinlichkeit als auch -zufriedenheit durch den Zuschnitt gesteigert werden [2].
Es ist konzeptuell abzugrenzen von ähnlichen Gestaltungsprinzipien, die der Anpassung an Nutzer:innen dienen. So unterscheidet sich das Tailoring beispielsweise von „Targeting“ dadurch, dass Targeting eine spezifische Zielgruppe („Target“) anhand gewisser Variablen definiert und sich in der Gestaltung vollkommen auf diese bezieht. Dabei wird der Einfachheit halber die Zielgruppe als eine Population aus mehr oder weniger identischen Personen betrachtet. Tailoring hingegen betrachtet die Gruppe der potenziellen Nutzer:innen besonders auch im Hinblick auf unterschiedliche Ausprägung der interessanten Eigenschaften (z.B. Erfahrung). Targeting ist somit oft einfacher umzusetzen, vernachlässigt möglicherweise aber interessante interindividuelle Unterschiede der Nutzenden [3].
Im Kontext der Gestaltung von Benutzeroberflächen, Produkten und Dienstleistungen kann Tailoring überall, wo im Rahmen der menschzentrierten Gestaltung die Rahmenbedingungen von (potenziellen) Nutzenden erhoben werden, Anwendung finden. Vielfach erprobt wurde es im Daten- und Privatsphärenschutz, um dem „Privatsphäreparadoxon“ (Diskrepanz, dass Nutzende trotz vorhandener Privatsphäresorgen kaum etwas zum Privatsphärenschutz unternehmen) [4]) zu begegnen.
Ein Beispiel für die Anwendung von Tailoring in diesem Kontext ist das PANDERAM-Projekt [5], bei dem ein App-Prototyp entwickelt wurde, welcher das Privatsphärenschutzverhalten der Nutzenden unterstützen sollte. Dabei wurden auf Grundlage vorhergehender Forschung [6] die textlichen Hinweise und Handlungsempfehlungen zu gegebenen Privatsphären- und Sicherheitsrisiken auf dem Smartphone auf die Nutzer:innen zugeschnitten. So wurden zwei Varianten der App erstellt – eine für Nutzende, die bereits ein Bewusstsein für und Erfahrung mit Maßnahmen zum Privatsphärenschutz haben und eine für diejenigen, die sich bisher wenig mit diesem Thema beschäftigten. Den Erfahreneren wurden detaillierte Informationen und motivierende Handlungsaufforderungen gezeigt, während die Unerfahreneren leichter verständliche Erklärungen und risikobezogene Handlungsempfehlungen erhielten. Dadurch sollten realistischere Verhaltens-Veränderungen für den persönlichen Privatsphärenschutz unterstützt werden.
Aber das Tailoring einer Anwendung kann auch anders aussehen. Angewandtes Tailoring zeigt sich beispielsweise häufig in der Gestaltung von Rezepte-/Ernährungs-Apps, wodurch den Nutzenden dann nur noch Rezepte angezeigt werden, die mit ihren Angaben (Schwierigkeitsgrad oder Trainings- bzw. Abnehmphase) vereinbar sind. Unterschiedliche Einführungen (Tutorials) in ein Produkt, benutzer:innendefinierte, modifizierbare digitale Assistenten oder optionale „Gamification“ – beispielsweise über Auszeichnungen für erreichte Verhaltensänderungen [7] – sind einige weitere Beispiele, um Tailoring zu implementieren.
Zusammenfassend geht es bei Tailoring also weniger um das gezielte Zuschneiden des zu gestaltenden Produkts auf eine spezifische Nutzendengruppe. Vielmehr ist es das Ziel, anhand vorher festgelegter Kriterien (z.B. Erfahrungsgrad oder -phase) potenzielle Gruppen von Nutzer:innen zu identifizieren und das Produkt auf eine Art und Weise zu gestalten, die an diese Gruppen angepasst wird.
Falls sie Tailoring nun direkt ausprobieren und anwenden wollen, finden sie HIER eine Übung aus dem Privatsphärenkontext.
Dieser Artikel und das zugehörige Lernmaterial sind Teil des E-Learning zum Thema „Fairness, Diversität und Transparenz“ der Professur für Allgemeine Psychologie und Human Factors an der TU Chemnitz. Weitere Lernangebote zu diesen und anderen Themen stellen wir hier fortlaufend auf dieser Webseite des Mittelstand-Digital Zentrums Fokus Mensch vor bzw. zeitnah auf der LEA-Lernplattform des Mittelstand-Digital Zentrums Kaiserlautern zur Verfügung.
Quellen:
[1] Kreuter, M. W., & Skinner, C. S. (2000). Tailoring: what's in a name?. Health education research, 15(1), 1-4. https://academic.oup.com/her/article/15/1/1/775692
[2] Knijnenburg, B. P. (2015). A user-tailored approach to privacy decision support (Ph.D. Thesis). University of California. https://escholarship.org/content/qt9282g37p/qt9282g37p.pdf
[3] Schmid KL, Rivers SE, Latimer AE, Salovey P. Targeting or tailoring? Mark Health Serv. 2008 Spring;28(1):32-7. PMID: 18389854; PMCID: PMC2728473.
[4] Brown, B. (2001). Studying the internet experience. HP Laboratories Technical Report HPL, 49.
[5] Bundesministerium für Bildung und Forschung. (Mai 2020). PANDERAM – Privatsphären-Analyse und nutzerspezifische Datenschutzempfehlungen für Apps und Mobilgeräte [Bekanntmachung]. https://www.interaktive-technologien.de/projekte/panderam
[6] Wilkinson, D., Sivakumar, S., Cherry, D., Knijnenburg, B. P., Raybourn, E. M., Wiseniewski, P., & Sloan, H. (2017). Work in Progress: User-Tailored Privacy by Design. Paper presented at 24th Annual Network and Distributed System Security Symposium, San Diego. http://dx.doi.org/10.14722/usec.2017.23007
[7] Raczkowski, F., Schrape, N. (2018). Gamification. In: Beil, B., Hensel, T., Rauscher, A. (eds) Game Studies. Film, Fernsehen, Neue Medien. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-13498-3_17
07.10.24