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Dieser Beitrag ist Teil einer kurzen Reihe an Blogbeiträgen zum Thema Barrierefreiheit. Der Artikel geht einleitend auf grundlegende Begriffe, Zahlen und Gesetze ein. Wir geben Hinweise zur barrierefreien Gestaltung von technischen Produkten, welche ab Juni 2025 für die Privatwirtschaft gesetzlich vorgeschrieben ist.

Der Begriff Behinderung ist häufig negativ konnotiert, wird aber in Beschreibungen und Gesetzestexten dafür verwendet Konsequenzen aus der Interaktion von Mensch und Umwelt zu beschreiben [4]. Im Jahr 2021 [1] lebten in Deutschland rund 13% Menschen mit Behinderung, davon sind rund 9% schwerbehindert mit einem Beeinträchtigungsgrad von 50% bis 100%. Behinderungen sind langfristig anhaltende (> 6 Monate) körperliche, seelische, geistige oder Sinneseinschränkungen [3]. Die daraus resultierenden Barrieren erschweren die Teilhabe in vielen Lebensbereichen und können oft nur mit zusätzlichen Hilfsmitteln bewältigt werden. Aber auch Nichtbehinderte kennen diese Situationen, denn sie können ebenso kurz- oder mittelfristig davon betroffen sein: situative (Tragen von Gepäck) und temporäre (gebrochene Hand) Beeinträchtigungen können die Interaktion mit der Umwelt auch erheblich erschweren [5].

Basierend auf dem Deutschen Grundgesetz (GG, Artikel 3, [7]) wurde das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG, [3]) erlassen, um diese Hindernisse abzuschaffen. Dieses Gesetz macht u.a. im §4 Aussagen zur Barrierefreiheit. Barrierefrei heißt, dass Umweltbedingungen so gestaltet werden sollen, dass sie für Menschen mit Behinderung in gleicher Weise nutzbar sind.

Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen [sollen] für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar [sein]“. [2]

Das Gesetz greift dabei Prinzipien des „universal designs“ [8] bzw. „Design für alle“ [9] auf. Es wurde seit 2002 weiter ausdifferenziert und mit europäischem Recht in Einklang gebracht. So wurde 2021 das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz [6] auf den Weg gebracht, welches spezifisch die Gestaltung von digitalen Endgeräten und Anwendungen reguliert. Für die Privatwirtschaft wird dieses Gesetz im Juni 2025 relevant. Produkte wie bspw. Smartphones, Apps, E-Books, und Terminals, die nach dem 28.06.2025 auf den Markt gebracht werden, müssen barrierefrei gestaltet sein.

Technische Anforderungen an Produkte werden in der DIN EN 301549 [10] definiert. Diese Norm referenziert für viele Produktarten auf die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG, [11]). Die WCAGs beinhalten vier Prinzipien, welche die Grundlage für Barrierefreiheit darstellen. Die Prinzipien sind werden mit weiteren Gestaltungszielen unterlegt, um Inhalte für Nutzer mit verschiedenen Behinderungen zugänglich zu machen.

  • Wahrnehmbarkeit = Informationen und Komponenten der Benutzeroberfläche müssen so dargestellt werden, dass die sie Nutzende wahrnehmen können; Ziele: Textalternativen für Nicht-Textinhalte anbieten, Alternativen für Audio- und Videoinhalte anbieten, Inhalte anpassbar und unterscheidbar gestalten.
  • Bedienbarkeit = Komponenten der Benutzeroberfläche und Navigation müssen benutzbar sein; Ziele: alle Funktionen sind per Tastatur bedienbar, alternative Eingabekanäle über die Tastatur hinaus anbieten, Nutzende haben genug Zeit Inhalte zu lesen und zu verwenden, Gestaltung soll keine Krampfanfälle und körperlichen Reaktionen auslösen, Navigation und Orientierungsmöglichkeiten anbieten.
  • Verständlichkeit: Informationen und Bedienung der Benutzeroberfläche müssen einfach zu verstehen sein; Ziele: Texte lesbar und verständlich schreiben, vorhersagbare Webseiten gestalten, Fehlervermeidung und –Korrektur ermöglichen.
  • Zuverlässigkeit: Die Inhalte müssen so robust sein, dass sie von einer Vielzahl von Benutzer-Hilfsmitteln, einschließlich assistiver Technologien, interpretiert werden können; Ziele: Maximale Kompatibilität mit aktuellen und zukünftigen Hilfsmitteln anbieten.

Um die WCAG-Richtlinien weiter einzuüben, gibt es hier: "Barrierefreie Gestaltung - Das WCAG-Rätsel".  

Die WCAG-Prinzipien und Ziele sind mit Erfolgskriterien und Testmöglichkeiten angereichert, die die Barrierefreiheit von Webprodukten überprüfbar machen [11]. Zudem gibt es diverse Tools für die Überprüfung von Webseiten [12]. Für Gestaltende von anderen Produkten und Dienstleistungen können zusätzlich die Inclusive Design Prinzipien, welche wir HIER vorgestellt haben, besonders hilfreich sein.

Die Beschreibungen oben zeigen: Barrierefreiheit steht im Einklang mit der Usability des Produktes. So wurden Webseiten mit höherer Barrierefreiheit von allen Nutzenden als benutzerfreundlicher bewertet [13]. Ausreichende Kontrastwerte um Text vom Hintergrund abzuheben, Navigationshilfen und Orientierung schaffen damit digitale Produkte steuerbar sind, sowie eine angemessene Fehlertoleranz eines Produktes sind etablierte Kriterien, die für alle Nutzenden von Vorteil sind.

Barrierefrei gestalten heißt im Wesentlichen flexibel gestalten, je spezifischer jedoch die Beeinträchtigung von Nutzenden sind, desto spezifischer müssen auch die Möglichkeiten eines Produktes sein. Obwohl die WCAG-Leitlinien ein breites Spektrum an Themen abdecken, können sie nicht allen Arten, Graden und Kombinationen von Behinderungen gerecht werden [11]. Daher möchten wir im zweiten Teil der Beitragsreihe spezifisch auf blinde Menschen eingehen und Hinweise geben, wie ihre Anforderungen in Nutzertests erhoben werden können.

 

Referenzen

[1] Statistisches Bundesamt DeStatis. (2024) Mikrozensus – Lebenslagen der Behinderten Menschen. Endergbnisse 2021. Abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Behinderte-Menschen/Publikationen/Downloads-Behinderte-Menschen/statistischer-bericht-lebenslagen-behinderter-menschen-endergebnisse-5122123217005.html?nn=210264

[2] Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen Behindertengleichstellungsgesetz - BGG). § 4 Barrierefreiheit. Abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bgg/__4.html

[3] Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG. Abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bgg/inhalts_bersicht.html

[4] World Health Organisation (WHO). (2005). Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI & WHO-Kooperationszentrum für das System Internationaler Klassifikationen, Hrsg.).

[5] Shum, A., Holmes, K., Woolery, K., Price, M., Kim, D., Dvorkina, E., Dietrich-Muller, D., Kile, N., Morris, S., Chou, J., & Malekzadeh, S. (2016). Inclusive Microsoft Design.

[6] Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Online Abrufbar unter: https://www.barrierefreiheit-dienstekonsolidierung.bund.de/Webs/PB/DE/gesetze-und-richtlinien/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz-node.html

[7] Deutsches Grundgesetz. Artikel 3 (1994). Abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_3.html

[8] Goldsmith, S. (2007). Universal design. Routledge.

[9] EDAD Design für Alle – Deutschland e.V. Barrierefreiheit mit attraktiver Gestaltung verbinden. https://www.design-fuer-alle.de/design-fuer-alle/

[10] Deutsches Institut für Normung. DIN EN 301549 Barrierefreiheitsanforderungen für IKT-Produkte und –Dienstleistungen. https://dx.doi.org/10.31030/3352891

[11] W3C. (2023). Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1. Online abrufbar unter: https://www.w3.org/TR/WCAG21/

[12] Aktion Mensch e.V. Digitale Barrierefreiheitstools. Abrufbar unter: https://www.aktion-mensch.de/inklusion/barrierefreiheit/barrierefreie-website/service#tools

[13] Huber, W., & Vitouch, P. (2008). Usability and Accessibility on the Internet: Effects of Accessible Web Design on Usability. In K. Miesenberger, J. Klaus, W. Zagler, & A. Karshmer (Hrsg.), Computers Helping People with Special Needs (Bd. 5105, S. 482–489). Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-540-70540-6_69

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