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Im dritten Artikel unserer Serie beschreiben wir, wie Unternehmen ältere Zielgruppen besser verstehen und durch barrierefreie Gestaltung digitaler Produkte auch besser erreichen können.

In einer zunehmend digitalen Welt bietet Barrierefreiheit Unternehmen nicht nur die Möglichkeit, ethische und gesetzliche Anforderungen zu erfüllen, sondern auch eine wachsende Zielgruppe zu erschließen. Besonders ältere Menschen, deren Nutzung digitaler Technologien rapide zunimmt – von 11 % im Jahr 2002 auf 79 % im Jahr 2018 [1] – profitieren von inklusiv gestalteten Produkten und Dienstleistungen. Unternehmen, die diesen Bedarf erkennen, können nicht nur Wettbewerbsvorteile sichern, sondern stehen auch vor der Herausforderung, digitale Angebote an die spezifischen Bedürfnisse dieser Generation anzupassen und die Anforderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes und Digitaler Barrierefreiheit zu erfüllen.

Die Hürden der Digitalisierung für ältere Menschen

Um barrierefreie digitale Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, ist es essenziell, die spezifischen Herausforderungen älterer Menschen zu verstehen. Diese reichen von technischen bis hin zu kognitiven Barrieren:

  • Komplexität der Bedienung: Unübersichtliche Menüs, unklare Funktionen und sogenannte „Dark Patterns“ erschweren die Nutzung für ältere Personen und hindern eine intuitive Bedienung.
  • Körperliche Einschränkungen: Seh- oder Hörbeeinträchtigungen sowie eingeschränkte Motorik erschweren die Nutzung. Kleine Buttons, schwache Kontraste oder fehlende Alternativen zur Mausbedienung können ein Hindernis sein [3; 4].
  • Kognitive Herausforderungen: Aufmerksamkeitsprobleme und Lernschwierigkeiten erfordern klare Sprache und übersichtliche Strukturen [3].
  • Technikunsicherheit: Viele ältere Nutzer fürchten, durch falsche Bedienung Schäden zu verursachen, was häufig dazu führt, dass digitale Angebote gemieden werden [2; 3]. 
  • Eingeschränkter Zugang zu Technologien: Möglicherweise stehen nur – bedingt durch finanzielle Hürden - wenige Geräte wie Heimcomputer oder Tablets zur Verfügung, was bestimmte Anwendungen unzugänglich macht.

Die Technikakzeptanz älterer Menschen wird nicht nur durch altersbedingte Einschränkungen, sondern auch durch ihre biografische Technikerfahrung geprägt, da sie mit anderen Geräten sozialisiert wurden als jüngere Generationen. Anbieter von digitalen Informationen sollten daher ihre Inhalte barrierefrei und intuitiv gestalten, da ältere Menschen selten zusätzliche Hard- oder Software wie Screen-Reader installieren. Stattdessen nutzen sie ausschließlich die Hilfestellungen, die der Browser oder eine Applikation selbst bietet [3]. Falls diese nicht ausreichen, neigen sie eher dazu, ein digitales Angebot ganz zu meiden. Um diese wachsende Nutzergruppe nicht zu verlieren, müssen die Bedürfnisse älterer Personen aktiv berücksichtigt und entsprechende Unterstützung bereitstellt werden.

Maßnahmen für barrierefreies Design

Um diese Herausforderungen zu adressieren, sollten Unternehmen gezielte Maßnahmen umsetzen, die ältere Menschen in die digitale Welt einbeziehen. Zu den effektivsten Ansätzen gehören [3; 4]:

Übersichtliche Strukturen: Klare Navigation und logisch aufgebaute Inhalte erleichtern die Bedienung und reduzieren Unsicherheiten.

Konkret: Bei der Gestaltung einer Hauptseite sollte auf eine klare, übersichtliche und konsistente Präsentation der Inhalte geachtet werden. Einfach erreichbare, konsistente Navigation und Informationsgliederung sowie leicht auszuwählende und erläuterte Links verbessern das Nutzungserlebnis älterer aber auch gleichzeitig aller anderen Nutzenden. Zudem suchen viele ältere Menschen gezielt nach Informationen. Daher sollten sie mit möglichst wenigen, klaren Schritten zum Ziel geführt werden. Unnötige Ablenkungen wie Pop-Ups, Animationen, Werbung oder Musik verringern die Wahrscheinlichkeit, dass Nutzende die Anwendung weiter verwenden können und wollen. Eine gute und übersichtliche Gliederung sowie Aufteilung längerer Texte sollte bereitgestellt sein.

Optimierung von Schrift und Kontrasten: Die Textgestaltung hat einen erheblichen Einfluss auf die Lesbarkeit der Inhalte. Starke Kontraste verbessern die Lesbarkeit und ermöglichen eine bessere Wahrnehmung.

Konkret: Eine dunkle Schrift auf hellem Hintergrund mit serifenloser, großer Schrift mit Anpassung der Zeilenlänge, des Zeilenabstands und der Zwischenräume sichert die Lesefreundlichkeit. Komplementäre Farbkombinationen direkt nebeneinander sollten vermieden werden. Hilfestellungen wie Textvergrößerung oder die Korrektur von Farbschwächen durch Anpassung der Farbgebung ermöglichen eine weitere Anpassung an die individuellen Bedürfnisse der Nutzenden, sollten jedoch nicht das Layout beeinträchtigen.

Steuerung: Eine Bedienbarkeit ohne Maus ist essenziell für Menschen mit motorischen Einschränkungen. Gleichzeitig müssen Touch-Interaktionen auf die Herausforderungen älterer Menschen abgestimmt sein.

Konkret: Ein kleiner Bildschirm kann das Bedienen von Touch-Interaktion erschweren, was bei der Entwicklung und Bereitstellung der digitalen Angebote bereits in die Überlegungen der Designphase einfließen sollte. Die Buttons sollten klar erkennbar und groß genug gestaltet sein und auch auf ausreichenden Abstand zwischen einzelnen Feldern ist zu achten. Bei kritischen Aktionen (z.B. Eingaben löschen, Kauf bestätigen) sollte noch einmal die explizite Bestätigung durch den Benutzer eingeholt werden. Sollten dennoch Fehler bei der Bedienung auftreten, sollte die Website/Anwendung nachgiebig reagieren und Hilfestellungen zur Behebung der Fehler bereitstellen.

Einfache Sprache: Eine verständliche und klare Ausdrucksweise hilft Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder mangelnder technischer Erfahrung. Die Zielgruppe muss die Informationen inhaltlich nachvollziehen und verstehen können.

Konkret: Kurze, aktive Sprache ist vorteilhaft. Dabei sollte insbesondere auf das Vermeiden von Fremdwörtern, Abkürzungen oder Fachsprache geachtet werden. Sollte dies nicht möglich sein, kann ein Glossar Abhilfe schaffen. Es sollte auf technische (und nicht muttersprachliche) Fachbegriffe verzichtet werden.

Multisensorische Informationen: Inhalte sollten nicht nur über einen einzigen Sinneskanal zugänglich sein.

Konkret: Konsistente Hilfestellungen ermutigen ältere Personen zur Nutzung eines Produkts. Dies umfasst die Möglichkeiten sich neben der regulären Textform eine Website vorlesen zu lassen, erklärende und passend eingesetzte Bilder oder Grafiken und Videoanleitungen. Insbesondere bei Applikationen wünschen sich ältere Menschen Schulungsvideos oder Tutorials [3]. Untertitel in Videos sollten optional abgerufen werden können. Diese multisensorischen Optionen sollten als Option zur Bereicherung der Erfahrung bereitstehen und den Inhalt unterstützen, ohne zu stören.

Links: Bei der Verwendung von Links sollte darauf geachtet werden, dass die deutlich gekennzeichnet und selbsterklärend sind.

Konkret: Die Linkdarstellung und Funktionsweise sollte – beispielsweise durch Farbgebung und Design – einheitlich gestaltet sein. Linknamen sollen immer auf das Ziel hinweisen. Nach einem (fälschlichen) Klicken auf einen Link sollten ältere Personen einfach wieder an den Ursprungsort zurückkehren können.

 

Inklusives Design: Die Bedürfnisse der Zielgruppe einbeziehen

Der Schlüssel zur Entwicklung barrierefreier Produkte liegt in der Integration älterer Menschen sowie ihrer Bedürfnisse und Wünsche in den Designprozess. Der Ansatz des Inklusiven Designs zielt auf die aktive Einbindung der Zielgruppe – in diesem Fall älterer Menschen – während des gesamten Entwicklungsprozesses ab. So können Bedürfnisse, Einschränkungen und Präferenzen frühzeitig identifiziert und berücksichtigt werden.

Praktische Ansätze zur Umsetzung für eigene Produkte

Die Entwicklung inklusiver Produkte beginnt bei der gezielten Einbindung älterer Menschen in der User Research Phase und in der Evalutionsphase des digitalen Produktes. Dies kann durch folgende Maßnahmen gelingen:

  1. Partizipation und/ oder Inklusion älterer Personen im Entwicklungsprozess: Ältere Menschen sollten aktiv in den Designprozess eingebunden werden, um sicherzustellen, dass ihre Perspektiven und Herausforderungen berücksichtigt werden. Dabei ist auf einen umfassenden Rekrutierungsplan zu achten, der alle Bereiche der Beeinträchtigung abdeckt, die mit Herausforderungen bezüglich der Nutzung technischer Produkte verbunden sein könnten.
  2. Erstellung von Personas: Um ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse älterer Menschen zu gewinnen, können Personas erstellt werden, die verschiedene Nutzungsszenarien simulieren. Dies hilft Designteams, spezifische Herausforderungen wie eingeschränkte Sehfähigkeit, motorische Probleme oder kognitive Barrieren besser nachzuvollziehen.
    Beispiel: Mit Tools wie Accessibility Personas [5] und Understanding Disabilities and Impairments: User Profiles [6] kann man auf Nutzerprofile zurückgreifen, die die Anforderungen an barrierefreies Design realistisch widerspiegeln. Daraus können im Rahmen des gesamten Designprozesses Gestaltungshinweise abgeleitet und umgesetzt werden.
  3. Simulationen: Um die Perspektive älterer Menschen besser zu verstehen, können Entwickler:innen und Designer:innen spezielle Hilfsmittel u.a. für Usabiliy Tests einsetzen[7]:
    • Sehbrillen: Diese Brillen simulieren altersbedingte Sehbeeinträchtigungen wie reduzierte Sehschärfe, Tunnelblick oder verändertes Farbsehen. Durch spezielle Gläser oder Filter werden beispielsweise die Kontraste vermindert oder das Sichtfeld eingeschränkt, um typische Sehprobleme älterer Menschen nachzuempfinden.
    • Motorik-Handschuhe: Speziell entwickelte Handschuhe reduzieren die Feinmotorik und das Tastempfinden, um die nachlassende Geschicklichkeit und Sensibilität im Alter zu simulieren. Dies ermöglicht ein besseres Verständnis dafür, wie alltägliche Aufgaben, wie das Bedienen kleiner Knöpfe, für ältere Menschen herausfordernd sein können.
    • Hörsimulatoren: Durch den Einsatz von Gehörschutzstöpseln oder speziellen Kopfhörern wird die Hörfähigkeit reduziert, um typische altersbedingte Hörverluste, insbesondere im Hochfrequenzbereich, nachzustellen. Dies verdeutlicht, wie schwer es für ältere Menschen sein kann, Gesprächen zu folgen oder akustische Signale wahrzunehmen.
    • Alterssimulationsanzüge: Ein Alterssimulationsanzug ermöglicht Simulation typischer altersbedingter Einschränkungen durch Kombination spezieller Module wie Sehbrillen, Gehörschutz, Gewichtselemente und Bewegungseinschränkungen.

Diese Erfahrungen fördern nicht nur Empathie, sondern helfen auch, spezifische Anforderungen besser in das Design zu integrieren und zu verhindern, dass Aspekte der Barrierefreiheit mit späteren, kostspieligen Veränderungen verbunden sind.

Fazit

Digitale Barrierefreiheit mag eine Herausforderung sein, doch mit inklusivem Design ist sie nicht nur machbar, sondern eröffnet Unternehmen auch neue Chancen. Die gezielte Einbindung der Zielgruppe der älteren Menschen und klare Designprinzipien ermöglichen es, Produkte zu schaffen, die allen Menschen zugänglich sind – und gleichzeitig wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Mehrwert bieten.

Literatur

[1] Initiative D21 e. V. (2018). D21 Digital Index 2018/2019. https://initiatived21.de/download/72920/d21digitalindex-2018_2019.pdf

[2] Ferizaj, D., Perotti, L., Dahms, R., & Heimann-Steinert, A. (2024). Technologienutzung im Alter: Zusammenhänge zwischen Akzeptanz, Kompetenz, Kontrolle, Interesse und sozialen Indikatoren bei Personen über 60 Jahre. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 57(3), 227-234.

[3] Darvishy, A., Hutter, H. P., & Seifert, A. (2021). Altersgerechte digitale Kanäle. Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi. org/10.1007/978-3-658-35501-2.

[4] Nurgalieva, L., Laconich, J. J. J., Baez, M., Casati, F., & Marchese, M. (2017). Designing for older adults: review of touchscreen design guidelines. arXiv preprint arXiv:1703.06317.

[5] https://alphagov.github.io/accessibility-personas/

[6] https://www.gov.uk/government/publications/understanding-disabilities-and-impairments-user-profiles

[7] Kirsch, J. (2020). Der Age Suit als Instrument der Alterssimulation. Lehre, Forschung, Transfer & Management-Beiträge aus der Fakultät Wirtschaft der DHBW Stuttgart: Festschrift für Prof. Dr. Bernd Müllerschön, 265.

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Kontakt

Veronica Hoth
  • Wilhelm-Raabe-Straße 43,
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