Bei aller Digitalisierung sind viele der herkömmlichen User Research Methoden sehr analog aufgebaut: Vor Ort werden Nutzer besucht, um ihre Umgebung und Arbeitsweisen besser kennenzulernen, auch Befragungen und Beobachtungen leben von der direkten Kommunikation. Nichtsdestotrotz gibt es auch viele Möglichkeiten, die Nutzer aus der Ferne besser zu verstehen. Im Rahmen der Artikelserie zu "Remote UUX Methoden“ soll im Folgenden der Workshop des KI-Umsetzungsprojekts zu positive UX und die dabei eingesetzten Methoden näher beleuchtet werden. Dabei handelt es sich um den Einsatz von Erlebniskarten, welche mit den Unternehmen Rosswag und NuCOS remote zur Gestaltung positiver Erlebnisse eingesetzt wurden.
Um die Unternehmen für die Gestaltung positiver Erlebnisse zu sensibilisieren, wurde der Workshop mit einem Impulsvortrag zu Positiver User Experience (UX) eingeleitet. So konnte zunächst noch einmal UX von Usability abgegrenzt werden, um mit einem einheitlichen Verständnis für die Thematik in den Workshop zu starten.
Mehr zum Unterschied zwischen Usability und UX hier.
Nach dieser Einführung in Positive UX, wurden den Unternehmen mögliche Methoden für die Gestaltung positiver Erlebnisse vorgestellt. Dazu gehörte beispielsweise die Methode des Erlebnisinterviews, welches mit einem Ingenieur von Rosswag, exemplarisch remote durchgeführt wurde.
Das Erlebnisinterview dient dazu, positive Erlebnisse bei der Arbeit oder bei der Nutzung eines Produkts zu erheben. Bei der Beschreibung des Erlebnisses werden verschiedene Faktoren wie beispielsweise beteiligte Personen oder Produkte und Strukturen, die eine Rolle spielen, abgefragt. Die gesammelten Erlebnisse dienen dann als Grundlage für die Gestaltung einer positiven UX. Bei der remote Umsetzung wurde die Vorlage für das Erlebnisinterview eingesetzt und über den Adobe PDF Reader bearbeitet. Dabei wurde der Bildschirm mit allen Teilnehmenden geteilt, um zwischen Interviewer und Interviewten ein einheitliches Verständnis für das Erlebnis sicherzustellen.
Da der Workshop im Rahmen des KI-Umsetzungsprojekts stattfand, wurde nach einem positiven Erlebnis aus den letzten Wochen bei der Angebotserstellung gefragt. Bei dem beschriebenen positiven Erlebnis handelte es sich um eine positive Rückmeldung eines Kunden. Dieser konnte aufgrund des passenden Angebots des Ingenieurs unerwartet den Druck in Auftrag geben. Durch diese positive Leistungsrückmeldung zur eigenen Arbeit, wurde beim Ingenieur ein Gefühl von „Glück“ ausgelöst, welches positiv in Erinnerung blieb. Solche Erlebnisse können Aufschluss über potentielle positive Erlebnisse bei der Arbeit liefern, die dann bei der Entwicklung der Anwendung integriert werden können. Dieses Erlebnis könnte beispielsweise auf die Kategorie „Feedback bekommen“ hinweisen, welche positive Erlebnisse beschreibt, die durch eine positive Leistungsrückmeldung erlebt wurden. Der Fokus liegt dabei auf der Kompetenz der Person, also auf ihren Fähig- und Fertigkeiten. Diese positive Leistungsrückmeldung muss allerdings nicht zwangsläufig von Personen gegeben werden, sondern kann auch von Technologie rückgemeldet werden. Dies könnte demnach für die Entwicklung der KI-Anwendung hilfreich sein.
Von den Teilnehmenden wurde das Erlebnisinterview allgemein als spannende und leichtgewichtige Methode wahrgenommen, die einem die Erhebung von positiven Erlebnissen bereits zu einem frühen Zeitpunkt ermöglicht.
Der Fokus des Workshops lag allerdings auf den Erlebniskarten, da das Projekt bereits fortgeschritten ist und es einen ersten Entwurf eines Interaktionskonzept gab. Dieses sollte an dieser Stelle durch ein Konzept für positive UX ergänzt oder angepasst werden.
Die Erlebniskategorien entstanden in einer Studie im Rahmen des Vorgängerprojekts Design4Xperience und beschreiben Faktoren positiver Erlebnisse, die Teilnehmende im Arbeitskontext erlebt haben. Sie können auf unterschiedliche Weise eingesetzt werden. Einerseits als Erinnerungsgegenstand in der Konzeptions- und Analysephasen, um positive Erlebnisse für Nutzer zu schaffen. Andererseits, um erhobene Erlebnisse einer Kategorie zuzuordnen und so Anforderungen an die Umsetzung zu definieren. Es handelt sich dabei um ein Kartenset welche Erlebniskategorien mithilfe von Stichworten, die entweder als zwingend notwendig oder optional einzuordnen sind, beschreibt. Zudem wird für jede Kategorie dargestellt, wie oft diese Erlebnisse proportional mit Anderen stattfinden und mit wem sie am häufigsten erlebt werden (mehr zu den Erlebniskategorien hier).
Nach einer kurzen Einführung zu den Erlebniskategorien wurde im Anschluss daher das im Projekt entwickelte Interaktionskonzept anhand der Wireframes und dem erarbeiteten Service Blueprint finalisiert (mehr zum Vorgehen und den eingesetzten Methoden im Projekt hier) und mit Hilfe der Erlebniskarten ein Konzept für positive UX entwickelt. Dafür wurden vor Beginn des Workshops alle Teilnehmenden gebeten die Erlebniskategorien während der Besprechung, entweder ausgedruckt oder digital, sichtbar vor sich zu haben.
Über den geteilten Bildschirm wurde das Interaktionskonzept Schritt für Schritt besprochen und Potentiale für positive Erlebnisse erarbeitet. Es entstand eine angeregte Diskussionsrunde sowohl zu Interaktionsabläufen, als auch zu Möglichkeiten für positive Erlebnisse.
Ein Beispiel für ein positives Erlebnis bei der Angebotserstellung bot die Kategorie „Feedback bekommen“. Von NuCOS wurde das kollaborative Arbeiten im Team angesprochen und dass sich der Ingenieur über bestimmte Funktionen in der Anwendung Feedback einholen könnte. So könnte es im Kalkulationstool zum Schluss des Angebotserstellungsprozesses die Möglichkeit geben, sich von einem Kollegen aktiv Feedback einzuholen. Dies könnte beispielsweise über eine automatisierte E-Mail realisiert werden, welche direkt aus dem Tool über eine einfache Schaltfläche an den Kollegen versendet wird.
Insgesamt lief der Workshop remote genauso wie er auch als Präsenzveranstaltung geplant war. Dennoch gab es einige Punkte, die es zu beachten galt und in diesem Fall zur Herausforderung wurden. Gerade in diesem Workshop wurde die Wichtigkeit der Rolle des Moderators noch einmal sehr deutlich. Die fehlende physische Präsenz führte einerseits zu knapperen Diskussionen und Momenten des Schweigens. Andererseits kommt es häufig vor, dass man sich gegenseitig unterbricht. Hier musste der Moderator aktiv werden, seine Agenda stets im Kopf haben und aktiv zuhören, um weitere Anregungspunkte einbringen zu können oder auf den nächsten Punkt einzugehen. Darüber hinaus kann er den Teilnehmenden das Wort erteilen, um eine Struktur in die Diskussion zu bringen, oder die vom Konferenztool vorhanden Funktionen einsetzen, wie beispielsweise sich melden zu können. Dies erfordert allerdings eine gute Vorbereitung des Workshops und einen strukturierten Ablauf. Um diesen Ablauf auch gewährleisten zu können, ist es hilfreich zu Beginn des Workshops die Agenda vorzustellen. So können sich alle Teilnehmenden auf die Inhalte und Ziele des Workshops einstellen.
Neben dem Moderator ist wie in jedem anderen Workshop auch ein Protokollant hilfreich. Alle Diskussionen, Entscheidungen, Anmerkungen und offenen Punkte können so festgehalten werden. Für die Vorbereitung bedeutet das vorher zu überlegen, wer diese Rolle übernimmt. Wichtig ist dabei zu beachten, dass der Protokollant sich meistens selbst in Diskussionen nicht viel einbringen kann, da das Protokollieren viel Zeit in Anspruch nimmt. Außerdem sollte diese Rolle getrennt vom Moderator gesehen werden, um keine wichtigen Punkte zu überspringen, oder ein unvollständiges Protokoll zu erhalten.
Wie in einem Präsenzworkshop gehört zur Vorbereitung also auch hier, alle notwendigen Materialien zu sammeln und in diesem Fall im Voraus oder an den passenden Stellen an die Teilnehmenden zu versenden. Dabei ist es hilfreich, eine Liste aller benötigten Materialien anzulegen, welche sich an der erstellten Agenda orientiert. Dies kann in Form eines Moderationsleitfaden umgesetzt werden, der alle notwendigen Schritte und dafür benötigten Materialien zusammenfasst und vom Moderator als Hilfestellung verwendet werden kann. Im Workshop selbst können dann die Funktionen des eingesetzten Konferenztools eingesetzt werden, um die Materialien zu teilen. So wurde in diesem Workshop die Chatfunktion eingesetzt, um an den passenden Stellen die notwendigen Materialien per Link an die Teilnehmenden zu versenden. Andere Tools bieten beispielsweise einen direkten Datenupload, welcher für solche Zwecke genutzt werden kann. Darüber hinaus sollte man sich mit allen weiteren Funktionen des eingesetzten Tools vertraut machen, um den Workshop möglichst effizient und ansprechend zu gestalten. Im beschriebenen Workshop wurde neben der Chatfunktion lediglich noch das Screen-Sharing (Teilen des Bildschirms) verwendet, um gemeinsam die Wireframes als Diskussionsgrundlage verwenden zu können.
Außerdem ist es gerade bei Remote-Workshops wichtig, Störfaktoren zu minimieren. Denn Teilnehmenden sitzen ggf. nicht in einem gesonderten Raum, wie einem dafür vorgesehenen Workshopraum im Unternehmen. Hierzu zählen beispielsweise geöffnete Fenster, Sprachassistenten, die im Hintergrund aktiv werden, oder ähnliche Störfaktoren aus dem privaten Umfeld.
Als Fazit zum Einsatz eines Erlebnisinterviews und den Erlebniskarten kann man den unkomplizierten Umgang in Remote-Workshops aufführen. Ist der Workshop gut organisiert und werden die Funktionen des Konferenztools richtig eingesetzt, lassen sich beide Methoden problemlos remote umsetzen. Wichtig ist dabei die Rolle des Moderators, der die Teilnehmenden durch den Workshop führt und die Methoden im Vorgang gut einführt und erklärt.
Zusammenfassende Erkenntnisse aus dem Workshop: Das Erlebnisinterview und der Einsatz von Erlebniskategorien können remote gut umgesetzt werden, wurden folgende Punkte beachtet:
- Remote-Workshop muss gut vorbereitet sein (Agenda, Materialien, Toolfunktionen)
- In einem Remote-Workshop ist noch einmal verstärkt zu erwähnen, Rollen klar zu verteilen und zu trennen
- Ein Moderationsleitfaden bietet sich an, um dem Moderator das Führen des Workshops zu erleichtern
- Vermeiden von Störfaktoren ist für die Gewährleistung der Konzentration der Teilnehmenden essenziell
16.04.20